BERND & HANNAH FLESSNER:
DAS OSTFROIEOSCHE MÄRCHENBUCH
Der Nordwesten Deutschlands ist reich an Sagen, Legenden, Mythen und Märchen. Da könnte
Das Ostfriesische Märchenbuch eine willkommene Bereicherung der regionalen
Literatur sein.
Verfasst haben das schön aufgemachte Buch Bernd und Hannah Flessner und der Untertitel
verspricht Sagen, Legenden und Märchen aus Ostfriesland neu erzählt. Die
sollen nicht nur Kinder ab acht Jahre sondern durchaus auch Erwachsene erfreuen.
Diese Freude aber trübt sich bald ein, denn zumindest einige der 18 Erzählungen sind bei
genauerem Hinsehen schlichtweg ein Ärgernis. Selbst als erfundene Märchen, denn
angeblich beruht ja alles auf mehr oder weniger bekannten Überlieferung.
Wenn da zum Beispiel von der klugen Häuptlingstochter Fenja von Schloss Gödens berichtet
wird und schon der Handlungsort so wahrheitswidrig beschrieben wird. In dem Ort
Sande gab es ein riesiges und prachtvolles Schloss lautet der erste Satz.
Dabei ist ohne Aufwand herauszufinden, dass das berühmte Schloss Gödens einst in der
gleichnamigen Gemeinde entstand und erst seit der Gebietsreform im Jahr 1972 nun
tatsächlich zur Gemeinde Sande gehört. Doch dieses Schloss kann auch gar nicht gemeint
sein, denn zu Häuptlingszeiten war der Vorgängerbau eine trutzige Burg, die 1517 in
kriegerischen Auseinandersetzungen zerstört wurde.
Ein Prachtbau entstand erst danach in Etappen und unter der Herrschaft von Grafen. Doch
auch die Legende von einer Fenja muss wohl ebenso reine Erfindung sein wie die arg naive
Vorstellung, die könnte einen einfachen aber schlauen Fischer geheiratet haben, der sie
unter anderem mit einem Witzebuch umgarnt hatte.
Mag hier noch einfach nur schludrig geschrieben oder erfunden worden sein, wird es
geradezu krass mit der Meerjungfrau von Hooksiel. Da wird tatsächlich eine
echte, seit langem überlieferte Legende auf unentschuldbare Weise nicht nur verfälscht
sondern auch noch an einen falschen Ort verlegt.
Auch im Fischerdorf Hooksiel weiß man sehr gut von der Meerjungfrau, mundartlich
dem Seewiefken, das im 16. Jahrhundert von Fischern aus Minsen mit dem Netz
gefangen und nicht wieder freigegeben wurde. Als ihm dennoch die Flucht gelang, rächte es
sich mit einer Sturmflut, die einen Teil der damaligen Insel Minsen verschlang.
Und wer da wirklich nicht weiß, ob und wo es das Seewiefken gegeben hat: eine
überlebensgroße Bronzeskulptur zeigt es im heutigen Dorf Minsen-Förrien. Vor allem aber
ist diese Sagengestalt so berühmt, dass sie seit der Gebietsreform von 1972 sogar das
Wappen der dabei entstandenen Gemeinde Wangerland ziert. Die im Übrigen niemals zu
Ostfriesland gehört hat!
Bliebe ein echt ostfriesisches Märchen, das im dortigen Norden spielt und ganz einfach
ohne Sinn und Verstand zusammengebastelt worden ist. Bei Der verzauberte
Kluntje soll der Häuptling Enno (1380-1450) wegen einer drastischen Steuererhöhung
von einem Teehändler mit diesem Süßstoff eines Besseren belehrt worden sein.
Und hier stimmt einfach gar nichts, denn erst um 1610 brachten niederländische Seefahrer
den ersten Tee nach Europa. Doch auch Graf Enno II. (1505-1540) kann nicht gemeint sein,
denn der war da ebenfalls schon seit Jahrzehnten tot. Und als Krönung kommt dann noch die
schöne aber völlig hirnrissige Illustration von Gisela Specht hinzu. Da mag ja der edle
Häuptling oder Graf Enno in authentischer Kleidung in einer damals noch gar nicht
existierenden - Teehandlung sitzen, der Teehändler aber trägt recht modern ein weißes
Oberhemd mit Krawatte und darüber ein Jackett.
Ansonsten ist das Buch nett anzuschauen und zu lesen aber nicht für Kinder zu
empfehlen, denn sie würden einfach zu viele fragwürdige Dinge daraus lernen. Wenn schon
Das Ostfriesische Märchenbuch, dann aber bitte auch mit Geschichten, die auf
stimmigen Fakten und echten Überlieferungen beruhen.
|