BEN MACINTYRE: DER SPION UND
DER VERRÄTER
Oleg Gordijewski wird in den 80er Jahren zum erfolgreichsten Doppelagenten für den
britischen MI6 und sorgt in einer entscheidenden Phase dafür, dass es nicht zum 3.
Weltkrieg kommt. Dann aber ist es ausgerechnet ein geldgieriger CIA-Mitarbeiter, der ihn
an den KGB verrät. Und schließlich gelingt dem Todeskandidaten die Flucht aus den
Fänger seiner Kollegen.
Ein wilder Agentenroman? Nein, alles ist real und in allen Einzelheiten erzählt von Ben
Macintyre, dem wohl erfolgreichsten Experten für wahre Begebenheiten aus der Welt von
Geheimdiensten und Spionage. Der Titel seines Buchs lautet Der Spion und der
Verräter und man darf vorweg sagen, dass der Untertitel nicht übertreibt:
Die spektakulärste Geheimdienstgeschichte des Kalten Krieges.
Eingangs wird der Werdegang Gordijewskis dargelegt, einem Ausnahmetalent, dessen Vater
bereits KGB-Agent wart. Als er wunschgemäß im Ausland eingesetzt wird, beginnt seine
feste Weltanschauung sich aufzuweichen. Die Entfremdung von der Sowjet-Ideologie kippt
endgültig mit der Niederschlagung des Prager Frühling durch die
Brudervölker im August 1968.
1974 lässt sich Gordijewski bewusst vom MI6 anwerben und wird zum Doppelagenten. Seine
ganz große Zeit kommt 1982, als er im Rang eines Oberst als 44-Jähriger
stellvertretender Resident der KGB-Station in London wird. Und Agent Nocton,
so sein Code-Name, lässt nicht nur die Quellen sprudeln, er liefert in einer
entscheidenden Phase des Kalten Krieges Informationen, die vermutlich dazu beitrugen, den
unmittelbar drohenden 3. Weltkrieg zu verhindern.
1981 hatte der KGB-Vorsitzende Juri Andropow (der spätere kurzzeitige ober
Sowjet-Herrscher) RJaN angeordnet (in etwa Raketenangriff), den
Geheimdienstauftrag zur Erkundung der Pläne des Westens für den befürchteten
Nuklearen Erstschlag. Diesem größten Geheimdienstauftrag ordnete der
paranoide Andropow alle anderen Aktionen des KGB unter.
Die Furcht vor einem Erstschlag drohte einen Erstschlag zu provozieren - diese
heikle sowjetische Denkweise enthüllte Insider Gordijewski seinen britischen
Ansprechpartnern. Und das keinen Augenblick zu früh, denn die Furcht eskalierte mit
massiven Fehlinterpretationen des NATO-Manövers Able Archer 83 als
Angriffsplan gegen die Sowjetunion. Die brachiale Rhetorik von US-Präsident förderte
diese Paranoia noch.
Doch der MI6 wusste dank Gordijewski genau dies, und diese Informationen führten zu einer
Deeskalation insbesondere, indem das Manöver nicht bis in die letzten massiven
Ausformungen durchgeführt wurde. In Premierministerin Margaret Thatcher hatte der
KGB-Oberst seither eine unverbürchlich dankbare Freundin (obwohl sie erst später
überhaupt seinen Echtnamen erfuhr).
Auch in den USA war man dem Doppelagenten sehr dankbar, allerdings die CIA hätte
nun auch gern die vom MI6 strikt geheim gehaltene Identität des Meisterspions erfahren.
In ihrer beruflichen Eifersucht beauftragte Langley nun ausgerechnet Aldrich Ames damit,
Näheres herauszufinden. Der jedoch erwies sich als geldgierige Type und obendrein mit
einer anspruchsvollen Kolumbianerin verheiratet.
Da war er selbst es sogar, der sich dem KGB andiente, und der Verräter aus niedersten
Beweggründen lieferte schließlich reichlich Informationen. Auf sein Konto kommen
zahlreiche Verhaftungen von Agenten und mindestens zehn Morde an solchen durch den KGB.
Und auch Oleg Gordijewski gerät so ins Fadenkreuz der eigenen Kollegen und als er 1985
nach Moskau zurückbeordert wird, weiß er nur zu gut, was ihm blühen wird.
Gerade im Falle eines so hohen Offiziers will der KGB jedoch Beweise und ein Geständnis.
Womit ein weiterer spannender Roman im Roman einsetzt, denn es kommt zu einem
atemberaubenden Katz-und-Maus-Spiel ums nackte Leben. Und die dankbaren Kollegen vom MI6
haben fürsorglich den Fluchtplan Pimlico ausbaldowert der sich absolut
filmreif liest.
Oleg Gordijewski, der hochgeehrt an geheimem Ort seinen Lebensabend genießt, begnügte
sich nach der Lektüre dieses Agententhrillers mit Echtheitszertifikat mit einem knappen:
Es ist tadellos. Sein Verräter hingegen flog später auf und sitzt seit 30
Jahren hinter Gittern. Fazit: der Untertitel trifft voll zu auf dieses Meisterwerk des
Genres.
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