ESHKOL NEVO: „BETRÜGERISCHE ANZIEHUNG“


Das neue Werk des israelischen Erfolgsautors Eshkol Nevo trägt im Orginal den Titel „Ein Mann trat ins Paradies“, wobei das Wort Pardes auch einfach Obstgarten bedeuten kann. Allerdings besteht der Roman aus drei Novellen, die lediglich sehr locker miteinander verbunden sind.
So heißt der Gesamttitel denn auch „Trügerische Anziehung“ und die beginnt mit der geradezu thrillermäßigen Geschichte um den frisch geschiedenen Enddreißiger Omri, der bei einer Asuzeit in Bolivien eine fatale Begegnung mit der lasziven Moriah hat.
Die flirrende junge Schönheit, wie Omri aus Israel hergereist, verbringt hier ihre Flitterwochen, Die tragischg enden, als ihr Mann bei einer riskanten Tour in den Bergen tödlich abstürzt, Nachdem sich Moriah schon zuvor einmal in Omris Hotelzimmer geschlichen hatte, stiehlt sie sich nun von der traditionellen Totenwache der Familie davon und lässt sich stattdessen von Omri trösten.
Und als hätten sich Alfred Hitchcock und Claude Chabrol zusammengetan, entwickelt sich daraus nicht nur eine hitzige Amour fou zwischen der rätselhaften Witwe und dem blindlings Verliebten. Wieder zurück in der Heimat, landen beide jedoch umgehend hinter Gittern, denn die Umstände des Absturzes in den Bergen lassen auch ein Verbrechen als denkbar erscheinen. Vieles bleibt vagem ungewiss und verdächtig und Omri braucht schon viel Glück, um nicht mitsamt der mysteriösen Geliebten unterzugehen.
In der zweiten Geschichte endet die Gratwanderung zwischen väterlichem Beschützerinstinkt und unterschwelligem Begehren für den erst kürzlich verwitweten Chefarzt Dr. Ascher in einem Desaster. Er wollte eine junge Assistenzärztin nach deren üblen Erfahrungen mit einem übergriffigen Verehrer unterstützen. Man versteht einander sehr gut und schließlich besucht Liat den deutliche älteren Kollegen zuhause.
Wie unbedacht die eigentlich harmlos gedachte Streicheleinheit auch – mutmaßlich – war, für die gewissermaßen Vorgeschädigte erscheint sie als empörende Grapschaktion, auf die sie entsprechend reagiert. Weniger direkt und erotisch als beim ersten Fall, stehen hier die subtileren Nuancen und Missverständnisse der beiden Menschen im Vordergrund.
Auch der dritte Teil, in dem die anderen Charaktere nur als Nebenrollen ansatzweise erscheinen, wird wieder von der Hauptfigur erzählt. Das ist hier die 40-jährige Chilli, deren Ehemann während eines Spaziergangs im Obstgarten spurlos zwischen den Bäumen verschwindet. Erneut führt das Geschehen mit diesem unerklärlichen Verlust in große Bestürzung, unvorhersehbar und aus heiterem Himmel.
Wenn es in dieser Erzählung im Übrigen einen vermeintlich direkten Bezug zum barbarischen Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 auf ein Musikfestival zu geben scheint – da hat die Realität die Fiktion bei weitem überholt, denn Eshkol Nevo hat diesen Roman bereits drei Jahre zuvor verfasst.
Und es zeichnet ihn gerade auch diese Meisterschaft der leisen Töne aus, denn bei aller stets spürbaren Bedrohlichkeit greift er nie zur Dramatik. Fazit: elegant und zuweilen prickelnd geschrieben, bietet dieser Reigen der feinen Harmlosigkeit, unter deren Oberfläche es brodelt, ein exquisites Lesevergnügen.

# Eshkol Nevo: Trügerische Anziehung (aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch); 302 Seiten; dtv Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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