CHRIS WHITAKER: IN DEN FARBEN
DES DUNKELS
Man könnte Chris Whitakers drittes Buch einen Entwicklungsroman nennen, doch In den
Farben des Dunkels ist auch Krimi, Epos und Liebesgeschichte.
Hauptfigur Joseph Macauly ist zu Beginn 13 Jahre alt und trägt den Spitznamen
Patch, weil er eine Augenklappe trägt. Er wurde mit nur einem Auge geboren,
hat sich aber längst an Hänseleien wie einäugiger Freak gewöhnt. Der
Augenschutz hat ihn aber auch zum Fan jeglichen Piratentums gemacht.
Während Patch nicht zuletzt wegen der trinkenden Mutter zum kleinen Rechtsbrecher
geworden ist, hat seine Freundin Saint ebenfalls keine unbeschwerte Jugend, nachdem die
Mutter verstarb und der Vater verschwand. Sie lebt bei ihrer Großmutter und ihre ganze
Hingabe gilt der Bienenzucht.
Das alles spielt 1975 in Monta Clare, Missouri, und als Patch dort eines Tages durch den
Wald streift, hört er Schreie. Und entdeckt ausgerechnet seinen Schwarm Mitsy Meyer mit
zerrissener Bluse, bedrängt von einem Mann mit Skimützenmaske. Ebenso mutig wie
chancenlos greift Patch den Unhold an und doch mit dem Erfolg, dass Misty entkommen
kann.
Er aber erwacht erst Tage später schwer malträtiert in einem regelrechten Verlies auf,
in dem absolute Finsternis herrscht. Nur etwas bewahrt ihn in nächster Zeit vor der
völligen Verzweiflung: er ist nicht allein. Da ist das geheimnisvolle Mädchen Grace, das
ihn tröstet. Und warnt: Keine Namen, keine Orte. Der Mann hört mit. Und er
holt sie von Zeit zu Zeit für Stunden ab.
In Monta Clare suchen sie derweil verzweifelt nach dem Helden, der Misty rettete. Ohne
jede Spur gibt selbst der freundliche Polizeichef Nix nach einigen Monaten die Suche auf.
Nur eine will nicht an seinen Tod glauben: Saint. Und dank ihrer Hartnäckigkeit kommt es
tatsächlich zu dem Wunder Patch wird gerettet!
Lange Zeit braucht er, um sich von den gesundheitlichen Schäden zu erholen, das Trauma
von 307 völlig lichtlosen Tagen hoffnungsloser Gefangenschaft hat ihn jedoch fürs Leben
verändert. Vor allem aber wird Grace zur Obsession kaum jemand glaubt ihm, dass
sie überhaupt existiert. Um so zwanghafter muss er sie finden.
Womit eine jahrzehntelange Odyssee beginnt, unter der sein Leben chaotisch und voller
Brüche dahintreibt. Insbesondere Saint, die ihn unverbrüchlich liebt und sich sogar
bewusst zur Polizistin ausbilden lässt, hat darunter zu leiden. Viele schmerzliche bis
tragische Momente folgen in den Jahren, in denen Patch durch die Staaten zieht.
Während es einerseits zu Entfremdungen zwischen den beiden kommt, lernt Patch, der immer
wieder auch mit dem Gesetz in Konflikt gerät, den kauzigen Galeristen Sammy kennen. Er
bringt Patch zur Kunst und erneut wird der Lebensweg in andere Bahnen geleitet. Die Suche
nach Grace aber bleibt die quälende Konstante in seinem weiteren Leben.
Von diesem sei aber nur noch verraten, dass es auf eine überraschende Wende zutreibt, die
dem ohnehin intensiven und bewegenden Geschehen einen endgültigen Höhepunkt beschert.
Getragen wird das großartige Epos durch die exzellente Mischung der Genres sowie die
meisterhaft gezeichneten Charaktere.
Fazit: ein zeitweilig wegen seiner emotionalen Tiefe nur schwer zu ertragendes
Meisterwerk, das dabei ohne nennenswerte Gewaltszenen und Blutvergießen auskommt.
|