RONALD RENG: 1974 EINE
DEUTSCHE BEGEGNUNG
Ausgerechnet bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 hatte die Auslosung
den absoluten Klopper erbracht: Deutschland gegen Deutschland. Oder korrekt ausgedrückt
Bundesrepublik gegen DDR, die einzige derartige Begegnung in der Geschichte des Fußballs.
Genau 50 Jahre ist das jetzt her und der versierte Fußball-Autor Ronald Reng hat sich
diesem historischen Sportereignis mit einer umfassenden Chronik gewidmet. 1974
Eine deutsche Begegnung. Als die Geschichte Ost und West zusammenbrachte ist
das Buch überschrieben.
Was da an jenem Samstag, dem 22. Juni 1974 im Hamburger Volksparkstadtion stattfand, wurde
trotz der endlosen Reihe von Goldmedaillen und Weltrekorden der meistbeachtete Erfolg des
DDR-Sport. Dabei hatte Manfred Ewald, der oberste Sportpolitiker der Deutschen
Demokratischen Republik betont, dass Fußball eine unnütze Sportart sei.
Reng beschränkt sich allerdings in seinen Ausführungen nicht auf 90 Minuten des dritten
Vorrundenspiels der Gruppenphase, die beide Teams bereits erfolgreich durchlaufen hatten.
In gekonnter Dramaturgie bettet er das eigentliche Sportereignis ein in die Vorgeschichte
sowie in das Geschehen rundherum und danach.
Eine besondere Rolle hat dabei Matthias Brandt, damals 12 Jahre alt und einziger
Fußballkenner in seiner Familie. Vater Willy war einige Wochen vorher als Bundeskanzler
zurückgetreten, doch der Filius fieberte nicht nur bei deutschen Spielen mit. Nach dem
Jugoslawien-Spiel besuchte dann Staatschef Tito den Kanzler a.D. Zuhause und hatt für den
Jungen ein Trikot von Serienmeister Partizan Belgrad mitgebracht.
Viele ähnliche Anekdoten bereichern das Buch, doch das tun auch die Schilderungen über
das Staunen der Ost-Nationalspieler über den Westen. Wo sie nicht nur von den
hervorragenden Adidas-Fu0ßballschuhen begeistert sind. Doch natürlich hatte die
Staatsmacht mitten im Kalten Krieg dafür gesorgt, dass das Team von ausgesuchten Fans
begleitet wurde.
Für diese 1500 handverlesenen Zuschauer hatte man eigene die passende Fremdenführerin
engagiert ein der skurrilsten wahren Anekdoten der Chronik. Ausgesucht hatte man
mit Doris Gercke ein linientreues Mitglied der bundesdeutschen Deutschen Kommunistischen
Partei (DKP). Zum Dank durfte sie beim Spiel dabei sein. Und wer da rätselt, ob man diese
Dame kennen sollte, die da eher unwillig das einzige Fußballspiel ihres Lebens besuchte
sie sollte mit ihren Bella-Block-Romanen später eine besonders erfolgreiche
Krimi-Autorin werden.
Doch zum detaillierten Sportteil selbst, der sich nicht nur für Fußball-Fans spannend
liest. Da hatte die BILD an diesem Samstag bräsig mit dicken Lettern verkündet
Warum wir heute gewinnen. Und dann lief das so unvermutet hakelig zwischen den
westdeutschen Stars und den ostdeutschen Staatskickern, die sich in verkrampften Schweigen
abmühten.
Und dann schickte Bundestrainer Helmut schön nach 70 zähen Minuten endlich den so
genialen Günter Netzer auf den Platz, um gefälligst ein Wunder zu vollbringen. Doch der
wurde nicht nur von Kapitän Franz Beckenbauer konstant ignoriert, ihm gelang auch
herzlich wenig.
Stattdessen in der 77. Minute die Sensation: Jürgen Sparwasser trickst Torhüter Sepp
Maier aus zum 1:0! Die weiteren Spiele führten dann bekanntlich zum Aus für die DDR und
zur Weltmeisterschaft der BRD. Woran dann aber Netzer nicht mal mehr als Reservist Anteil
hatte.
Der wie auch auch weitere damals eingesetzte Fußballer aus beiden Teams kommen ebenso zu
Wort wie andere interessante Zeitzeugen. Das alles bietet deshalb auch wegen des
hervorragenden Zeit- und Lokalkolorits weit mehr als nur ein
Fußballländerspiel: es ist längst zu einem Stück gesamtdeutscher Geschichte geworden,
einem kuriosen, über das sich wunderbar lesen lässt.
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