SASA STANISIC: „MÖCHTE DIE WITWE ANGESPROCHEN WERDEN,...“


Das jüngste Werk von Sasa Stanisic ist ausdrücklich nicht als Roman ausgewiesen, vielmehr enthält es zwölf Erzählungen. Zu denn der vielfach ausgezeichnete Autor jedoch augenzwinkernd die Empfehlung beifügt, diese einzelnen Geschichten in der vorgegebenen Reihenfolge zu lesen.
Viel mehr als diese Anmerkung aber lässt der Titel des Buches schmunzeln, der da lautet: „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“. Den Einstieg aber macht die Erzählung „Neue Heimat“, die an einem heißen Sommertag des Jahres 1994 in einem Weinberg einsetzt.
Vier Teenager mit Migrationshintergrund träumen hier von der Zukunft, Und es ist der 16-jährige Fatih, dessen studierter Vater hier in Deutschland nun Lkw fährt, der über eine Art Menschheitstraum sinniert: „Wie super wäre es, wenn es einen Proberaum für das Leben gäbe? Du gehst rein und probierst zehn Minuten aus der Zukunft? Wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit dem Schicksal. Kostenpunkt 130 Mark.“
Die zehn Minuten würden garantiert später so kommen und man hätte damit quasi einen Proberaum für das Leben. Dieser Proberaum taucht dann auf in weiteren Erzählungen in verschiedenen Vaianten auf und so bildet die Eingangsgeschichte den Rahmen des gesamten Buches.
Deshalb ja auch die Leseempfehlung des Autors, der im Übrigen selbst eingangs 16 Jahre alt und einer der vier Teenager im Weinberg ist. Und er erscheint ebenfalls verschiedentlich wieder. Wie in der zentralen Erzählung über eine Fahrt nach Helgoland. Über die er als Erwachsener ausführlich berichtet, ohne zu verraten, dass er in Wirklichkeit nie dort war.
Dagegen begegnet Fatih, inzwischen Professor und Guru für „Anproberäume des Lebens“ später sogar einer gewissen Angela Merkel und staunt, dass die Bundeskanzlerin offenbar selbst heimlich eine Probe auf die Zukunft genommen hat.
Wenn jedoch der Autor selbst einmal mehr auftaucht, nennt man so etwas Autofiktion und – er erweist sich auch darin als ebenso intelligenter wie leichtfüßiger Meister scharfsinniger Gedankenspiele mit viel Humor. Und das gilt natürlich auch für die köstliche Titelgeschichte um Witwe Gisela.
Die zwar täglich das Grab des verblichenen Hermann besucht und auch ihre Alterszipperlein hat, aber trotzdem mit eindeutigen Hintergedanken den spziellen Gießkannen-Code einsetzt. Mit Erfolg, und auch das so elegant und amüsant, dass diese literarische Perlenkette zu einem wahren Lesefestival wird.

# Sasa Stanisic: Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne; 256 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 24


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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