HANS FALLADA: LILLY UND IHR
SKLAVE
Der Fundort war ähnlich sensationell wie der Fund selbst: in einer Gerichtsakte der
Kieler Rechtsmedizin wurden in der Gutachtenmappe des Rechtsmediziners Ziemke wurden fünf
unbekannte Erzählungen von Hans Fallada (1893-1947) gefunden. Verfasst hatte sie der
Schriftsteller 1925 in der Haftanstalt, wo er eine Strafe wegen Unterschlagung absaß.
Unter dem Titel Lilly und ihr Sklave wurden die Texte zusammen mit einer
Schilderung der Wiederentdeckung durch die Ärztin Johanna Preuß-Wössner sowie einer
Einordnung durch den Fallada-Biografen Peter Walther nun als Buch herausgegeben. Die
Schriften des drogensüchtigen Schriftstellers stammen aus dessen dunkelster Zeit, als ihn
die Beschaffungskriminalität gleich mehrfach hinter Gitter brachte.
Drei der Erzählungen gab es bisher in späteren Versionen bereits zu lesen, hier aber
liegen offenbar die Urfassungen vor. Gänzlich unbekannt war jedoch das Titelstück, in
dem Fallada die verruchte Emanzipation einer 17-jährigen Bürgerstochter beschreibt.
Ebenso unbekannt war bisher auch Robinson im Gefängnis und bei beiden ist der
typische Duktus seiner späteren großen Werke erst zu erahnen.
Die Themen sind durchweg überraschend modern und weisen zugleich deutliche
autobiografische Züge auf. Das gilt dann auch für eine Abhandlung Falladas unter dem
Titel Wer kann da Richter sein?, die zwar nicht aus dem Fund aber formal ganz
offensichtlich aus demselben zeitlichen Kontext stammt. Fazit: eine lohnende Ergänzung
zum Werk des außergewöhnlichen Autors, zumal die Fundstücke hier allesamt ohne die
sonst üblichen späteren Überarbeitungen Falladas vorliegen.
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