DAVID GRANN: DAS
VERBRECHEN
Zweimal hatten die Weißen dem großen Osage-Indianervolk schweres Unrecht angetan, indem
man sie erst aus der Heimat und später auch der zugewiesenen neuen Heimat vertrieb.
Barbarisch waren die Eroberer der nordamerikanischen Weiten oft vorgegangen, doch
schließlich durften sich die Ureinwohner im Norden von Oklahoma niederlassen.
Niemand sonst wollte dieses staubige Land in den Hügeln, das ohnehin nicht zur
Kultivierung taugte. Doch die Erwerber dessen, was dann zum Osage County wurde, waren so
weitsichtig, alle Rechte an diesem Boden einschließlich an allem, was womöglich auch
darunter sein könnte, zu erwerben. Was die Osage nämlich wussten: dieser offenbar so
nichtsnutzige Landstrich barg ein gigantisches Ölvorkommen tief im Boden.
So verpachteten die Osage ihre Parzellen schließlich an Ölprospektoren und wurden
innerhalb kürzester Zeit zu den Menschen mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen.
Allein 1923 bezifferten sich die Öl-Einnahmen des Indianervolkes in heutiger Kaufkraft
gerechnet auf über 400 Millionen Dollar. Was nahezu zwangsläufig Neid und Gier bei den
Weißen auf die Wilden weckte. Die sich da plötzlich in immer neuen
Luxuskarossen herumchauffieren ließen und auch sonst frohgemut mit dem so üppig
hereinsprudelnden Geld prassten.
Womit das dritte, noch weitaus größere Unheil über die unschuldigen Osage hereinbrach.
Gern verschwiegen und heute beinahe in Vergessenheit geraten, hat sich David Grann nun
diesen schier unglaublichen Ereignissen angenommen, die alle Grenzen des bisher Bekannten
sprengen.
Das Verbrechen ist sein Bericht überschrieben und selbst der Untertitel
lässt dessen Größe allenfalls erahnen: Die wahre Geschichte hinter der
spektakulärsten Mordserie Amerikas.
Eingangs beschreibt der Autor Einzelschicksale und erste offensichtliche Morde an
Stammesmitgliedern. Allerdings hatte bereits die Bundesregierung erste rassistische
Maßnahmen ergriffen, indem sie sich angeblich sorgte, dass viele der verschwenderischen
Osage inkompetent im Umgang mit ihrem Vermögen seien. Vollblut-Indianer
fielen grundsätzlich unter diese staatliche Besorgnis, wegen der man ihnen Betreuer zur
Seite stellte. Natürlich ehrenhafte Weiße. Die vorsorgliche Bevormundung betraf jedoch
auch viele Mischlinge.
Doch die Osage wurden nicht nur Ziel solcher Maßnahmen, denn spätestens ab 1921 brach
eine Zeit geradezu systematischer Enteignung der radikalen Art an. Gezielte Morde waren
bald an der Tagesordnung und schleichende heimtückische Vergiftungen eine besonders
beliebte Methode. Ganze Familien wurden nach und nach ausgerottet. Aber eben nur fast,
denn die Täter ersannen ein unfassbar perfides Vorgehen: da die Kopfrechte auf dem Boden
nicht verkauft sondern ausschließlich an Familienmitglieder weitergereicht werden
konnten, schlossen zahlreiche Weiße Ehen mit Stammesmitgliedern.
Ein exemplarischer Fall war der von Mollie, Vollblut-Osage und geehelicht von Ernest
Burkhart. Innerhalb kurzer Zeit verstarben ihre Mutter und drei Schwestern entweder
gewaltsam oder durch zweifelhafte Ursachen. Ermittlungen liefen dank allgegenwärtiger
Korruption entweder ins Leere oder die Untersuchenden endeten ebenfalls gewaltsam. Das
Ende dieser Schreckensherrschaft kam erst mit der ersten Großtat des bis dahin ebenfalls
recht zweifelhaften FBI.
Auch das Federal Bureau of Investigation stand bisher im Ruf einer korrupten Behörde. Das
änderte sich erst, als 1924 der legendäre J. Edgar Hoover die Bundespolizei übernahm
und mit viel Ehrgeiz reorganisierte. In dem ehemaligen Texas Ranger Tom White fand er den
richtigen Aufklärer, der nun mit einer Gruppe Undercover-Agenten und modernster
Kriminalistik ans Werk ging.
Für Mollie Burkhart kam die Aufdeckung der Verbrechen gerade noch rechtzeitig. Als Kopf
der umfassenden Verschwörung erwies sich der bis dahin unverdächtige angesehene
Geschäftsmann William Hale. Dutzende von Morden wurden nach und nach aufgeklärt, doch
niemand wurde zum Tode verurteilt und gegen manche offensichtliche Verbrecher gab es nicht
mal eine Strafverfolgung.
Und doch, wenn der Leser den überaus spannenden Schilderungen bis zu diesem Endpunkt der
mörderischen Ereignisse gekommen ist und nur dank der vielen Fotos der echten
Protagonisten von damals weiß, dass das Alles reales Geschehen ist, bleibt noch ein
erheblicher Rest zu lesen übrig. Was darin nun folgt, sind Recherchen des Autors in alten
Archiven, angeregt und unterstützt von heutigen Stammesangehörigen, Nachfahren jener so
infam angegangenen Osage-Indianer.
Grann entdeckte, dass manches anders war, als es nach allen Erkenntnissen bisher erschien,
nämlich noch schlimmer! Die alten Unterlagen offenbarten ein noch weitaus
größeres Ausmaß an Niedertracht durch eine systematische Verschwörung quasi von
oben. Da fanden sich unzählige Vormundschaften zu indianischen Mündeln seitens
Männern der Gesellschaft wie z.B. einem hoch angesehenen Bankdirektor und viele von ihnen
hatten ein Dutzend oder mehr Schutzbefohlene.
Und die wurden nicht nur systematisch ausgenommen, die Zahl der gewaltsam oder
durch ungeklärte Ursachen früh Verblichenen widerspricht jeder statistischen
Wahrscheinlichkeit. Niemand wird mehr die konkreten zahlen der Gemeuchelten erfahren, aber
auch die abgrundschlechten Täter sind längst nicht mehr am Leben.
Ein unfassbares Massenverbrechen von solchen Ausmaßen, dass es einem den Atem
verschlägt. David Grann hat seinen Bericht darüber zu einer hochspannenden Lektüre
gemacht, die lange nachhallt. Im Übrigen ist eine hochkarätige Verflimung bereits in
Planung und sie dürfte für Aufsehen aber auch Aufregung sorgen.
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