MARK BRAUDE: „KIKI MAN RAY“

 
Wohl jeder hat Kiki de Montparnasse schon einmal gesehen: sie ziert als nackte Schöne das ikonische Fotokunstwerk „Le Violon d'Ingres“ von Man Ray aus dem Jahr 1924. Als Blickfang ist ihr Rücken dabei auf neckische Weise mit zwei aufgemalten F-Notenschlüsseln zum Musikinstrument verfremdet.
Die Geschichte dieser beiden Künstlergestalten, die von 1922 bis 1926 eine stürmische Affäre miteinander durchlebten, hat der kanadische Universitätsdozent Mark Braude unter dem Titel „Kiki Man Ray. Kunst, Liebe und Rivalität im Paris der 20er Jahre“ zu einer Doppelbiografie zusammengefasst.
Die beginnt mit dem Leben von Alice Prin, 1901 geboren und von dem Maler Mendjizky 1919 „Kiki“ genannt. Er war nicht der erste, der sie malte, er war auch ihre „erste wahre Liebe“. Dass sie alsbald zu den umtriebigsten Mitgliedern der aufblühenden Bohème im quirligen Paris wurde, war eigentlich ungewöhnlich, denn als ungebildete uneheliche Tochter einer Landarbeiterin kam sie quasi als Exotin in diese illustre Künstlerwelt.
Doch diese flirrende „Kiki de Montparnasse“ war bald nicht nur mittendrin in einer Szene voller berühmter Namen des Surrealismus und der Moderne, sie wurde selbst zur umjubelten Künstlerin. Sie malte, sie sang eigene Lieder und war, wie Biograf Braude es so treffend ausdrückt: „ein Reality-Star in surrealistischen Zeiten.“
Insofern war sie weit mehr als nur eine Inspiration für Künstler wie Marcel Duchamp oder Arno Breker und sie saß Modell für unter anderem für Modigliani. Ihre Kunst war jedoch eben sehr flüchtig wie ihre Tanzvorführungen, Filmauftritte und Gesangsvorführungen.
Als ihr Stern am Ende des wilden Jahrzehnts verblasste, hinterließ sie immerhin eine kleine Autobiografie, deren Vorwort kein Geringerer als der damals in Paris mittendrin weilende Ernest Hemingway verfasste. Später aber ging sie verarmt und fast vergessen mit nur 52 Jahren an Alkohol und Drogen zugrunde.
Ihre wirklichen Glanzjahre aber waren die an der Seite von Man Ray, für den Kiki weit mehr als nur seine wohl wichtigste Muse war. Der 1890 als Sohn jüdischer Immigranten in den USA geborene Emmanuel Radnitzky, der sich seit 1911 Man Ray nannte – auch zur Abgrenzung von der ungeliebten kleinbürgerlichen Familie – hatte als Maler begonnen.
Zur Fotografie kam er allerdings eher ungewollt. Weil er immer mehr von Bildern vorm inneren Auge nicht wusste, wie er sie hätte malen sollen. Als er dann nach Erfolgen in New York nach Paris wechelte, entwickelte er sich nicht nur zu einer zentralen Figur der Avantgarde und wichtigem Akteur in Surrealismus und Dada.
Insbesondere mit der exaltierten unabhängigen Kiki an seiner Seite wurde er zu einem der bedeutendsten Fotokünstler aller Zeiten, der die Fotografie als Kunst revolutionierte. Auch deshalb wirkt diese kurze Epoche als besonderer romanhafter Höhepunkt dieser durchweg sehr lebendig erzählten Doppelbiografie zweier außergewöhnlicher Künstlerpersönlichkeiten.

# Mark Braude: Kiki Man Ray. Kunst, Liebe und Rivalität im Paris der 20er Jahre (aus dem Englischen von Barbara Steckhan und Thomas Wollermann); 367 Seiten, div. Abb.; Insel Verlag, Berlin; € 26

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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