GUNNAR DECKER: „RILKE. DER FERNE MAGIER“


Als Dichter gilt Rainer Maria Rilke (1875-1926) als einer der wichtigsten und einflussreichsten Lyriker des frühen 20. Jahrhunderts. Als Mensch aber war er ein unsteter Chaot, schwierig, kränkelnd bis gebrechlich und keine Lichtgestalt.
Gunnar Decker geht in einer großen Biografie unter dem Titel „Rilke. Der ferne Magier“ besonders auch auf die metaphysischen Fragen ein, die den ruhelosen als einer Art modernen Mystiker ständig umtrieben. Ohne Wert und Bedeutung seines Werkes schmälern zu wollen, widmet sich der preisgekrönte Biograf gerade den Widersprüchen dieses Menschen, der unfähig zu einem bürgerlichen Leben war.
Schon die Kindheit des im habsburgisch-österreichischen Prag Geborenen stand unter keinem guten Stern. Der Vater war ein pragmatischer Eisenbahn-Inspektor und harmonierte so gar nicht mit der gemütvollen Mutter Phia, so dass sie sich scheiden ließen, als René – so lautete Rilkes Taufname – gerade neun Jahre alt war.
Noch prägender aber sollte eine krankhafte Marotte seiner Mutter werden, die den Tod der früh verstorbenen Schwester des Jungen nicht verwunden konnte und diesen deshalb Mädchenkleider tragen ließ. Was dessen lebenslanges zwiespältige Verhältnis zu Frauen ausgelöst haben dürfte und später auch zu einem regelrechten Hass auf die Mutter führte.
Bereits in früheren Jahren führte es offenbar maßgeblich dazu, dass Rilke 1901 zwar die von schwangere junge Bildhauerin Clara Westhoff heiratete, jedoch zu ihr wie dann auch zu der gemeinsamen Tochter Ruth nie ein wirkliches Verhältnis fand.
Eine andere Frau war da jedoch längst zu seiner „Lebensfrau“ geworden, die 14 Jahre ältere berühmte Lou Andreas-Salomé.
Rilke sei „von Frauen jederzeit fasziniert“ gewesen, so der Biograf, diese freigeistige Frau aber, die ihm auch den Namenswechsel zu „Rainer Maria “ nahelegte, förderte ihn als Geliebte auch künstlerisch und er sollte es nie verwinden, als sie sich seiner intensiven Liebe entledigte.
Immerhin brachte sie diesen Schwarmgeist mit der „überfeinerten Empfindsamkeit“ weg von Jugendstil und Impressionismus zu eigener Größe. Doch auch seine lebenslange Kränklichkeit und körperliche Schwäche beeinflussten sein künstlerisches Schaffen bis hin zur Gottsuche als Nichtglaubender.
Auch sonst sorgten seine notorische Geldknappheit, seine Unfähigkeit zur Sesshaftigkeit und seine Beziehungsunfähigkeit für ein ebenso unangepasstes wie wirres Leben. Doch all diese schillernden Lebensumstände trugen offenbar dazu bei, aus diesem selbstverliebten Zwangsneurotiker einen der herausragendsten deutschsprachigen Lyriker zu machen.
Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Gunnar Decker schildert, wie sich Rainer Maria Rilke 1919 nicht nur bis zu seinem frühen Lebensende in der Schweiz niederließ, sondern sich sogar derartig von allem Deutschen abwandte, dass er davon träumte, ein französischer Dichter zu werden.
Fazit: eine wahrhaft schillernde Dichterpersönlichkeit, die hier auf fesselnde Weise präzise analysiert wird, ohne der Größe seines Werkes Schaden zuzufügen.

# Gunnar Decker: Rilke. Der ferne Magier; 608 Seiten, div. SW-Abb.; Siedler Verlag, München; € 36

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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