WILLEM-JAN VERLINDEN: „VINCENTS SCHWESTERN“


Welch große Rolle sein jüngerer Bruder Theo im Leben von Vincent van Gogh spielte, ist hinlänglich bekannt. Doch vom anderen Bruder Cornelius weiß man kaum etwas und dass der große Maler auch noch drei Schwestern hatte – quasi unbekannt.
Um so verdienstvoller ist da das Buchprojekt des niederländischen Kunsthistorikers Willem-Jan Verlinden, der nach immensen Recherchen diese Lücke füllte. „Vincents Schwestern“ ist das Werk überschrieben, doch die wirklich zutreffende Zuordnung gibt hier der Untertitel „das bewegte Leben der Familie van Gogh“.
Entscheidend für die überwältigende Präzision dieser Familiengeschichte war vor allem ein bis dahin ungehobener Quellenschatz: tausende von Briefen innerhalb der Familie und natürlich von und an den ältesten Sohn und Bruder Vincent. Alle in dieser Familie waren außerordentlich schreibfreudig. Hinzu kamen zudem viele sonstige Dokumente bis hin zu Fotos, Zeichnungen und Gemälden, von denen die meisten in diesem Buch erstmals veröffentlicht werden.
Zunächst wird der Ursprung der Familie des Künstlers dargelegt, das protestantische Pastorenehepaar van Gogh im weit überwiegend katholischen Brabant. In bescheidenen Verhältnissen lebend, bemühte sich dennoch, für alle sechs Kinder um eine gute Bildung. Was in diesem Fall auch die drei Töchter Anna, Elisabeth und Willemien einschloss, etwas, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch eher die Ausnahme war.
Im Vordergrund stehen dann die unterschiedlichen Beziehungen der Schwestern zu Vincent, den angehenden Künstler. Mit der frommen Anna hatte der in jungen Jahren ein sehr enges Verhältnis. Doch gerade sie war es schließlich, die endgültig für sein Fortgehen in die Fremde sorgte, von wo er nie wieder zurückkehrte.
Während Anna ansonsten die „normalste“ der Schwestern war, hatte Elisabeth/Lies selbst künstlerische Talente und tat sich als Schriftstellerin vor allem mit Lyrik hervor. „Wil“, die jüngste der Drei, stand Vincent am nächsten und hatte sogar selbst einige Anlagen im Zeichnen und Malen. Wobei sie teils sogar die gleichen Motive wie der Bruder umsetzte.
Prekär war allerdings eine andere Gemeinsamkeit mit Vincent: ihre psychische Gesundheit. Auch sie war mehr als nur „seltsam“ und entwickelte sich so schlimm, dass sie zwar mit 79 Jahren das längste Leben aller van-Gogh-Kinder hatte, über die Hälfte davon jedoch psychiatrischen Anstalten verbrachte.
Und aus der ja durchweg sehr persönlichen Korrespondenz der Familienmitglieder untereinander lässt sich ein fataler Zug ablesen: eine Veranlagung etlicher von ihnen mit mentalen Problemen bis hin zu Suizidneigungen. Einen solchen beging ja nicht nur Vincent, denn im selben Jahr und ebenfalls mit einer Pistole setzte der jüngste Bruder als Kriegsgefangener im Burenkrieg seinem Leben ein Ende.
Doch diese bewegende Biografie um eine Familie, aus der einer der größten Maler aller Zeiten hervorging, widmet sich auch dem gewaltigen Erbe des Künstlers. Wobei sich überraschend deutlich herausschält, dass die drei Schwestern ein eher distanziertes Verhältnis zu Vincents Kunst hatten.
Auf jeden Fall eröffnet diese hervorragend Familienbiografie sowohl viele unbekannte Aspekte wie auch manche neue Sichtweise auf den rätselhaften Künstler.

# Willem-Jan Verlinden: Vincents Schwestern. Das bewegte Leben der Familie van Gogh (aus dem Niederländischen von Andreas Gressmann); 288 Seiten, div. Abb.; Elisabeth Sandmann Verlag, München; € 32

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bio 475 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de