HANS-HERMANN KLARE: „AUERBACH“


Philipp Auerbach (1906-1952) war in den Nachkriegsjahren einer der wenigen, die den Mund aufmachten und er tat es laut und schonungslos in Presse und Rundfunk. Er war zu jener Zeit eine herausragende Persönlichkeit und der Sturz durch seine Feinde und seine Suizid direkt danach waren noch spektakulärer.
Um so erstaunlicher muss es erscheinen, dass eine solche Figur des öffentlichen Lebens nach diesen Ereignissen derartig in Vergessenheit geraten konnte. Der tritt nun Hans-Hermann Klare mit seiner Biografie „Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder wie der Antisemitismus den Krieg überlebte“.
Der ehemalige leitende Redakteur beim „Stern“ hat bereits zahlreiche heiße Eisen der Weltgeschichte aufgearbeitet, hier nun hat er sich mit intensiver Recherche einem zu Unrecht außer Acht gelassenen und leider gegenwärtig wieder virulenten Übel nicht nur in Deutschland gewidmet. Wobei Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte im Nachwort deutlich macht, dass man eine solch schillernde Vita wie der Auerbachs keinem Drehbuchautor durchgehen lassen würde. Aber – alles ist wahr und beruht auf Fakten.
Aucherbach stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Hamburg, galt als sehr intelligent und als Organisationstalent, allerdings auch als cholerisch und oft überheblich und selbstgerecht. Früh lehnte er sich gegen die Nazis auf und bereits 1934 ging er nach Belgien ins Exil. Bei Kriegsausbruch verschlug es ihn nach Frankreich, wo er über mehrere Internierungslager schließlich in die Fänge der Gestapo geriet und später nach Auschwitz.
Er überlebt dieses KZ wie auch Buchenwald unter anderem, weil seine Sprachkenntnisse ihn „nützlich“ machten, die Gesundheit des Hünen war danach jedoch schwer angeschlagen. Seine Dienste in eienr Wiedergutmachungsbehörde im Rheinland beendeten die Briten nach wenigen Monaten wegen seiner Auftretens und weil er die Militärregierung in Misskredit gebracht hatte.
Von 1946 bis 1952 aber begann seine große und tragisch endende Zeit als „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ in München. Mit unkonventionellen Methoden und stets begleitet von öffentlichkeitswirksamen Attacken zugunsten seiner Klientel, der DPs und Entwurzelten, machte er sich dabei reihenweise Feinde.
Seine selbstherrlichen Ausfälle stießen selbst Wohlwollende und Freunde vor den Kopf. Der gefährlichste Feind aber wurde Dr. Robert Lehr, als dieser Alt-Nazi unter Adenauer Bundesinnenminister wurde. „Kurz darauf begann die endgültige Hatz auf Philipp Aucherbach“, heißt es da. Er schaltete den berühmt-berüchtigten „Ochsensepp“ ein, den CSU-Justizminister Josef Müller.
Das Wissen um dessen Nazi-Vergangenheit hatte Auerbach offenbar eingesetzt, um ihn unter Druck zu setzen. Das und die chaotische Amtsführung als Staatskommissar bot Müllers Justiz neben manch anderen Angriffspunkten den Ansatz, um seine Staatsanwälte auf ihn zu hetzen. Schon die Briten hatten Auerbach dessen unberechtigtes Führen des Doktor-Titels vorgeworfen, die bayerischen Ermittler aber türmten eine ganze Reihe weiterer Straftaten wie Erpressung, Unterschlagung, Veruntreuung und anderes mehr für ihre Anklage auf.
Und der Prozess, der nun vorm Landgericht München I eröffnet wurd,e war nicht nur mit 62 Verhandlungstagen, 130 Zeugen und acht Sachverständigen der größte der Nachkriegsjahre – er spootete auch jeder Rechtsstaatlichkeit. Josf Mulzer als ehemaliger Nazi-Richter hatte mit zwei weiteren Richtern und zwei Laienrichtern vier weitere einstige NSDAP-Mitglieder an seiner Seite und die Staatsanwälte hatte der Justizminister ebenfalls entsprechend handverlesen.
Es gab meineidige Zeugen und schließlcih brach fast die gesamte Anklage mangels Beweisen zusammen. Übrig blieben die illegale Führung eines akademischen Titels – die Auerbach selbst eingeräumt hatte – und nicht auffindbare Gelder aus den Wirren von Auerbachs Amtsführung. Um so mehr erschütterte den Schwerkranken das eklatant überzogene Urteil von zweieinhalb Jahren zuzüglich einer Geldstrafe in Höhe von 2.700 EM.
Nicht nur der KZ-Überlebende empfand diese Verurteilung durch die Alt-Nazis als „Schandurteil2 und er setzte noch in der Nacht dieses 14. August 1952 im Krankenhaus seinem Leben ein Ende. Sein für die Öffentlichkeit bestimmter Abschiedsbrief endete mit dem alttestamentarischen Fluch: „Mein Blut komme auf das Haupt der Meineidigen!“ Nicht weniger drastisch folgte bereits 1954 die völlige Rehabilitation Auerbachs in einem Untersuchungsausschuss des Landtages. Was Justizminister Müller das Amt kostete.
Hans-Hermann Klare hat diese unglaublich spektakuläre und filmreife Vita eines Mannes, der das Gute und die Gerechtigkeit wollte und dabei seinen Feinden durch erhebliche Charaktermängel viele offene Angriffsflächen bot, detailliert und zugleich fesselnd geschildert. Fazit: eine hervorragende Biografie, die seit langem überfällig war.

# Hans-Hermann Klare: Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder wie der Antisemitismus den Krieg überlebte; 471 Seiten, div. SW-Abb.; Aufbau Verlag, Berlin;
€ 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bio 462 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de