NERDINGER/VOSSENKUHL: OTL
AICHER
Viele mögen nicht wissen, wer Otl Aicher (1922-1991) war. Seine berühmteste Kreation
aber hat vermutlich fast jeder Mensch auf der Erde schon einmal gesehen: die Piktogramme
in Sportstätten, auf Bahnhöfen, Flughäfen und vielem mehr.
Er gilt als einer der einflussreichsten Gestalter des 20. Jahrhunderts und nun im 100.
Geburtsjahr gibt es eine angemessene Hommage an diesen ungeheuer vielseitigen und
schaffensfreudigen Künstler und Macher, den ein Verkehrsunfall mitten aus dem Schaffen
riss. Otl Aicher. Designer. Typograf. Denker ist der Textbildband
überschrieben, dabei war er noch weit mehr, als diese Begriffe andeuten.
Herausgegeben haben den opulenten Band mit Winfried Nerdinger ein Professor für
Architekturgeschichte und mit Wilhelm Vossenkuhl ein Philosophieprofessor. Aicher nannte
sich selbst einen Anarchisten mit Sinn für Ordnung und die Widerständigkeit
gehörte für den Dozenten, Künstler und Unternehmer zur Persönlichkeit.
Was er bereits zur Nazi-Zeit unter Beweis stellte, als er sich der Hitler-Jugend
verweigerte und prompt nicht zum Abitur zugelassen wurde. Selbst seine Ehefrau passte in
dieses Bild, denn Inge Scholl war die älteste der Geschwister Scholl, die bekanntlich als
Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose hingerichtete wurden.
Und wohl auch vor diesem Hintergrund war wohl kaum ein anderer Gestalter so prädestiniert
für seinen größten und berühmtesten Auftrag, 1972 die XX. Olympischen Spiele in
München zu gestalten. Es galt, bei der zweiten Olympiade auf deutschem Boden dem
martialischen Hakenkreuz-Bombast der Nazi-Festspiele von 1936 für immer ein gänzlich
anderes Bild entgegenzusetzen.
Längst in bestem Ruf als Mitbegründer und zeitweiliger Dozent und Rektor der Hochschule
für Gestaltung in seiner Heimatstadt Ulm sowie berühmt für Design-Meilensteine für
namhafte Unternehmen bis hin zur Lufthanse, erhielt Aicher 1967 den Auftrag, für München
72 das Erscheinungsbild heiterer Spiele zu kreieren. Wobei der Visionär
einerseits als Genie und zugleich als Teamworker gerühmt wurde, andererseits aber auch
auf die feste Unterstützung und Rückendeckung durch Willi Daume, Chef des deutschen NOK,
und durch Münchens OB Hans-Jochen Vogel bauen konnte.
Und Aicher schuf ein farbenfrohes Erscheinungsbild, das leicht und lebensbejahend war wie
keines einer Olympiade zuvor. Ob Fahnenschmuck, Uniformen, Fan-Utensilien oder
Eintrittskarten, alles hatte Stil. Wobei Aichers Freund, der weltberühmte Architekt Sir
Norman Foster, in einem eigenen Kapitel des Buches ein wichtiges Schöpfungsprinzip des
Meisters erläutert: Aicher habe auf verschiedene Weise Spontaneität zugelassen,
indem er zunächst Ordnung herstellte.
Der eigentliche Geniestreich für München 72 aber ist auch in dieser Hommage
unübersehbar: die seither allgegenwärtigen Piktogramme. Sie folgten Aichers Maxime
Konzentration und Reduktion auf das Wesentliche und das in abstrahierten
Formen und klaren freundlichen Farben. Wie von selbst schuf Aicher damit auch seine ganz
eigene Corporate Identity für die Olympischen Spiele mit dieser strikt durchgehaltenen
geometrischen Strenge und Klarheit, der zugleich so gar nichts mehr von teutonischer
Ordnungswut innewohnt.
Fazit: Otl Aicher setzte unvergessliche kulturelle Meilensteine und diese Hommage stellt
Person und Werk in hervorragender Weise und mit überwältigendem Bildmaterial vor.
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