DUNCAN HANNAH: „DIVE. TAGEBUCH DER SIEBZIGER“


Duncan Hannah war 17, als die 70er Jahre anbrachen und er die Idee hatte, von nun an Tagebuch zu schreiben. 20 großformatige Kladden sollten es schließlich über das gesamte Jahrzehnt hin werden und dazu nun die gute Nachricht: er hat die gesammelten Werke all die Jahren aufgehoben und nun als Buch herausgebracht.
„Dive. Tagebuch der Siebziger“ lautet der Titel, dabei hätte der Originaltitel „20th Century Boy“ nach einem Hit von Trex viel besser gepasst, denn das war dieser schmale hyperaktive Adonis geradezu exemplarisch im Sinne des Songtextes. Bevor der Leser nun in diese wilde und oft explizite Chronik einsteigt, sollte ersich eines unbedingt vergegenwärtigen: dies sind keine Memoiren und noch weniger ist es ein Roman.
Hannah schrieb damals ziemlich regelmäßig, häufig ekstatisch und oft nur Minuten oder Stunden nach den Ereignissen. Das zuweilen wirre Geschreibsel hat er nach eigener Aussage lediglich geglättet und lesbar gemacht, aber nicht in seinem ursprünglichen Charakter verändert. Und wie zum Beleg sind sehr viele Fotos eingefügt, von Freunden, Künstlern und natürlich von vielen, wirklich vielen Partnerinnen.
Im Winter 1970 legt der am 21. August 1952 in Minneapolis geborene Sohn eines erfolgreichen Rechtsanwalts und einer Innenarchitektin unter dem ersten Kladdentitel „Geheimnisvolle Augen“ los. Ein Foto zeigt ihn als schönen Teenager mit schulterlanger Prinz-Eisenherz-Frisur und diese Attraktivität erleichtert ihm Eroberungen zusätzlich.
Wer sich jetzt ein wenig wundert über all die explizit geschilderten Sexspielchen mit dauernd wechse4lnden Partnerinnen – genau so hat er es mit 17, 18 und den weiteren jungen hormonstrotzenden Jahren erlebt. Für Zeitgenossen liest es sich zudem beneidenswert, welche angesagten Bands der Junge aus wohlhabender Familie sich schon früh live anhören konnte. Später kam er zu vielen solcher Erfahrungen mal selbst als Musiker, mal als Künstler.
Und dann stellt er am Tag, als Janis Joplins Tod 1970 bekannt wurde – die er persönlich kennengelernt hatte – fest: „Ich brauche mehr Geschlechtsverkehr.“ Um so witziger liest sich der Eintrag vom Januar 1972 über seine überaus heikle Trickserei, um der Einberufung zum Militär – der Vietnam-Krieg tobte noch! - zu entgehen. Ausgerechnet er zieht eine Homo-Show beim Militärpsychologen ab und das mit Erfolg.
Seine richtig große Zeit aber kommt in New York City als Student am renommierten Bard College und dann an der Parsons School of Design Anfang der 70er Jahre, um Maler zu werden. Er lebt in Brooklyn und Manhattan in heute gar nicht mehr vorstellbaren – und bezahlbaren – WGs und ist ständig mittendrin im ungezügelten Treiben von Bohème, Avantgarde und Hedonismus. Schon 1973 hält Duncan Hannah aber auch schon fest, dass er Alkoholiker sei.Allerdings scheut er auch bei Drogen keine Experimente. Das Liebesleben bleib emsig, doch seine dandyhafte Attraktivität wirkt auch auf Männer, sodass er sogar fast vergewaltigt worden wäre.
Und dann diese Namen: das Who's Who ist unglaublich und er wirklich immer mittendrin. Da dreht er 1977 als Laienschauspieler den Underground-Film „Unmade Beds“ mit Debbie Harry (Sängerin von Blondie!) und soll Dali Modell stehen. Was jedoch dessen exaltierte Muse Amanda Lear torpediert. Natürlich hat er mit Andy Warhols Factory zu tun und diskutiert mit dem „silberhaarigen Magier“ über Malen und dessen Siebdrucke.
Gegen Ende des Jahrzehnts ist New York City kulturell längst der heißeste Platz auf Erden, Duncan Hannah ist Schweralkoholiker mit obsessiver durchgeknallter Partnerin und – als wahres Glückskind schafft er trotz allem die Wende. Da stolpert er am 8. Dezember 1980 in eine Menschenansammlung am Dakota Building: John Lennon wurde Stunden zuvor von einem Irren erschossen.
Duncan Hannah wird trocken, findet eine neue Liebe und in der Zeitschrift „Interview“ schreibt man Anfang 1981 über ihn: „Der versierteste der jungten Maler, die das klassische Format des Ölgemäldes nutzen – ein Neuerer als Reaktionär.“ Im Mai dann die erste Einzelausstellung, von deren 17 Werken 13 schon vor der Vernissage verkauft sind. Duncan Hannah ist erwachsen geworden und er stellt am Ende der 20. Kladde fest: „Das Ganze war die Reise zu einem Anfang.“
Und deren ungestüme Chronik ein Füllhorn von oft verwegenen Geschichten aus einem echten verrückten Leben. Vor allem aber spricht hier kein Narziss und Duncan Hannah verbrämt auch nichts. Das Alles fasziniert in seiner Unmittelbarkeit aus dem gerade Erlebten heraus. Hinzu kommen diese Einschübe von jeweils reichlich genossenen Büchern, Schallplatten und Filmen – lebendiger kann man die 70er Jahre nicht darstellen.
Der Autor zählt im Übrigen seit langem zu den meistbeachteten zeitgenössischen Künstlern der USA, dessen Werke selbst im Metropolitan Museum of Art in New York City hängen.

# Duncan Hannah: Dive. Tagebuch der Siebziger (aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel); 559 Seiten, div. SW-Abb.; Rowohlt Verlag, Berlin; € 28

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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