HEINRICH STEINFEST: „DER CHAUFFEUR“


Es beginnt mit einer verheerenden Massenkarambolage in einem Straßentunnel: Chauffeur Paul Klee kann nicht verhindern, dass sein schwerer Dienstwagen dabei auf dem Dach landet, doch wenigstens gelingt es ihm im letzten Moment, seinen Chef vor der Explosion aus dem Fahrzeug zu ziehen.
Das ist der knallige Auftakt zu Heinrich Steinfests jüngstem Roman „Der Chauffeur“. Doch so, wie die Titelfigur nur für eine kurze Passage diesen Job ausübt, darf man auch diesmal mit den bei diesem hintersinnigen Erfolgsautor typischen Verwicklungen und ebenso absurden wie glaubhaften Schicksalswendungen rechnen.
Paul Klee, für dessen Eltern der berühmte Maler kein Begriff bei der Namensgebung war, wird nach dem Unfall in der Presse als der Mann geschmäht, „der für seinen Chef ein Kind opferte“. Tatsächlich war es eher der Impuls einer natürlichen Loyalität und er empfindet es weniger als moralische Schuld sondern als Fehler, nicht erst den bewusstlosen elfjährigen Jungen vor der Explosion gerettet zu haben.
Sein Chef, einstiger Minister und eben wieder mit Plänen eines neuen politischen Höhenfluges befasst, entlässt Klee sofort, gewissermaßen wegen einer ethischen Fehlhaltung, die er nicht billigen kann. Aber immerhin bedenkt er seinen Lebensretter mit einer beachtlichen Abfindung. Dank derer sich der abgebrochene Jura-Student, der ihn zehn Jahre gefahren hat, nun einen Traum verwirklichen will. Den von einem eigenen kleinen Hotel irgendwo am Waldrand.
Das Schicksal führt ihn mit einer attraktiven Maklerin zusammen, die das optimale Objekt für ihn parat hat. Und im Nu werden Paul Klee und die geschiedene Inoue Sander ein Paar, das alsbald eine Perle aus dem „Hotel zur kleinen Nacht“ macht. Doch Inoue hat nicht nur einen kuriosen Lebenslauf sondern auch zehnjährige Zwillinge aus der zerbrochenen Ehe.
Als die ihre Schulferien bei ihnen verbringen, liest ihnen die rumänsiche Hotelangestellte Klara abends aus Thomas Manns „Der Zauberberg“ als Bettlektüre vor. Unversehens wird dann aus Klara und Inoue ein Liebespaar. Der betrübte Paul hat es als hervorragender Chef des schnell sehr beliebten Hotels auch mit Gästen mit besonderen Anliegen zu tun. Wie dem geschassten Kriminalbeamten Holl, der einem ungeklärten nachbarschaftlichen Mordfall hinterherschnüffelt.
Und erneut sorgt die meisterhafte Dramaturgie für das Ineinanderlaufen sehr verschiedener Lebensläufe. Aber Steinfest liebt es nicht nur hintersinnig und verblüffend, er lässt Absurdes ins Geschehen platzen. Da sind es die Zwillinge, die am 11. September – man beachte das Datum! - tief in der Nacht den Absturz eines Himmelsobjekts ganz in der Nähe beobachten und zur Aufschlagstelle eilen.
Es ist ein Weltereignis – nichts Geringeres als „Sputnik 2“ aus dem Jahr 1957 ist heruntergekommen. Und noch verrückter: die damals von den Sowjets ins All geschossene Hündin „Laika“ erfreut sich bester Gesundheit! Während Inoue und Klara die Zwillinge aus der weltweiten Hype retten und an einen geheimen Ort bringen, gerät Paul anderweitig in Lebensgefahr. Erneut eine irre Volte, denn seine Errettung in letzter Sekunde schließt quasi den Kreis dieser verwegenen Geschichte.
So verrückt dieser Roman auch aus der Rückschau erscheint, er fesselt von Beginn an, zumal Steinfest seine filigrane Prosa stilvoll und munter drauflos mäandern lässt. Fazit: ein feines anspruchsvolles Stück Literatur für Genießer.

# Heinrich Steinfest: Der Chauffeur; 356 Seiten; Piper Verlag, München;

€ 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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