JOHN GRISHAM: „DIE WÄCHTER“


Es ist kein Geheimnis, dass das US-Justizsystem, höflich ausgedrückt, allerlei Ungereimtheiten aufweist, die eines demokratischen Rechtsstaats eigentlich unwürdig sind. Wirklich übel aber wird es für Menschen, die aufgrund eines Fehlurteils im Gefängnis sitzen.
Dazu aber gibt es noch zwei Steigerungsstufen: im Todestrakt zu sitzen und obendrein afroamerikanischer Herkunft zu sein, Bestsellerautor John Grisham, selbst langjährig als Strafverteidiger in dem für seinen bis heute grassierenden Rassismus berüchtigten Bundesstaat Mississippi tätig, hat sich in seinem jüngsten Justizthriller unter dem Titel „Die Wächter“ diesen Missständen gewidmet.
Im Mittelpunkt steht Ich-Erzähler Cullen Post, Jurist und Geistlicher, der quasi ehrenamtlich für die „Guardian Ministries“ arbeitet, eine kleine Non-Profit-Organisation, die sich um Menschen kümmert, die nach mutmaßlichen Fehlurteilen endlose Jahre in Todeszellen schmoren. Ist es schon ein Albtraum für zurecht Verurteilte, in einem Knast für Schwerbrecher zu sitzen, muss es diejenigen schier in den Wahnsinn treiben, die dort unschuldig sind. Zumal wenn sie wissen, dass es Beweise für ihre Unschuld gibt.
Gleich fünf solcher Fälle bearbeitet der emsige Cullen und es beginnt mit Duke Russell und seiner Henkersmahlzeit im Hochsicherungsknast in Alabama. Eine Stunde 45 Minuten verbleiben bis zur Hinrichtung nach neun Jahren im Todestrakt. Es lässt frösteln, wie die Uhr heruntertickt, obwohl die Organisation davon überzeugt ist, dass er das grauenvolle Verbrechen nicht begangen hat.
Tatsächlich erreichen sie einen Aufschub und Cullen macht weiter mit dem Fall von Quincy Miller, der bereits seit 22 Jahren in Florida auf seine Hinrichtung wartet. Er soll den jungen Keith Russo erschossen haben, angeblich, weil der ihn bei seiner Scheidung als Anwalt so schlecht vertreten hat. Es geschah in der Kleinstadt Seabrook, sehr konservativ und Afroamerikaner machen hier nur eine kleine Minderheit aus.
Der weiße Sheriff Pfitzner kann als einziges Beweisstück nur eine Taschenlampe mit Blutspritzern präsentiere, die auch noch bei einem Brand in der Asservatenkammer noch vor Prozessbeginn verbrennt. Müller ist schwarz, hat ein schwaches Alibi und keine wirkliche Chance vor einem absolut weiß dominierten Geschworenengericht. Und Cullen Post entdeckt bei seinen Ermittlungen Hinweise auf eine raffinierte Inszenierung im Hintergrund: Miller war offensichtlich von vornherein als Schuldiger ausersehen.
Wie sehr hier Interessen mächtiger Kreise eine Rolle spielen, müssen hier sowohl Miller als auch Post erfahren, als der auf skrupellose Machenschaften zwischen Polizei und dem Drogenmilieu stößt. Dabei erschwert neben dem allgegenwärtigen Rassismus gerade hier im sogenannten „Death Belt“ (Todesgürtel) in den Südstaaten ohnehin das fragwürdige Grundprinzip der US-Strafverfolgung jede Chance auf eine faire Rechtsprechung: wenn jemand angeklagt ist, muss er auch schuildig sein und natürlich verurteilt werden.
Die Wiederaufnahme eines Prozesses aber ist ungeheuer schwer zu erreichen, denn erstens müssen dafür neue Beweise für die Unschuld des Verurteilten vorgelegt werden und zweitens geht es dabei nicht darum, wer der wirkliche Täter sein könnte. Schon gar nicht angesichts einer solch unheiligen Allianz und einem „passenden“ Übeltäter wie hier.
John Grishams Abrechnung mit diesem Schiefstand des Rechtswesens ist ebenso gnadenlos wie spannend und auch diesmal fehlt nicht als Höhepunkt eine heftige Gerichtsverhandlung. Im Übrigen weist er im Nachwort ausdrücklich auf die Inspiration durch einen echten Fall hin. Fazit: ein schnörkelloser Justizthriller in gewohnter Souveränität, angesichts des Grundthemas aber mit deutlich sarkastischem Unterton.

# John Grisham: Die Wächter (aus dem Amerikanischen von Kristina Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya); 447 Seiten, Heyne Verlag, München; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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