HANNS-JOSEF ORTHEIL: DER VON
DEN LÖWEN TRÄUMTE
Wenn eine Edelfeder wie Hanns-Josef Ortheil einen Roman über einen weltberühmten
Kollegen und Nobelpreisträger wie Ernest Hemingway (1899-1961) schreibt kann das
gut gehen? Herausgekommen ist dabei die Romanbiografie Der von den Löwen
träumte und es sei vorweg gesagt, ein großartiges Stück Literatur.
Im Herbst 1948 steht Hemingway vor dem 50. Geburtstag und steckt in einer massiven
Lebenskrise. Seit fast zehn Jahren plagen ihn eine Schreibblockade und Depressionen, die
er mit noch mehr Alkohol bekämpft. Mary, seine vierte Ehefrau, empfiehlt einen
Ortswechsel und begleitet ihn nach Italien. Hier hatte er vor 30 Jahren als blutjunger
US-Leutnant gekämpft, im Lazarett gelegen und auch glückliche Zeiten erlebt.
Begeistert wird der berühmte Schriftsteller in Venedig empfangen, hat mit dem ebenso
aufdringlichen wie untalentierten Reporter Sergio Carini gleich einen lästigen Verfolger
an den Hacken, der sich Ruhm und Erfolg durch ein Buch über Hemingway erhofft. Tochter
und Ehefrau Carini dagegen erweisen sich als nützlich und Sohn Paolo, ein 16-jähriger
Fischer, wird sogar zu einem bedeutsamen Freund für den rastlosen Amerikaner.
Ortheil folgt ihm auf Schritt und Tritt und tut dies auf der Grundlage intensiver
Recherchen und Zeitzeugengesprächen so, dass daraus ein Roman vor sehr realem Hintergrund
und mit genauen biografischen Fakten wird. Hemingway entflieht der Geschäftigkeit und den
Bars wirklich bald auf die abgelegene Insel Torcello. Hier ist es der Gründer seiner
legendären Harry's Bar, der ihm ein Refugium in seinem Landhaus gewährt.
Und es sind zwei ganz junge Menschen, die den Abgekämpften beflügeln: Lagunenfischer
Paolo und die 18-jährige schöne Adriana Ivancich (eine ganz reale Person aus altem Adel
unter diesem Namen!). In einer regelrechten Amour fou macht Hemingway ihr den Hof und
lässt sich von ihr betören. Abseits davon aber geht er der Entenjagd nach und genießt
die Naturerlebnisse auf den langen Bootsfahrten und die tiefgehenden Gespräche mit dem
einfachen und gradlinigen Paolo.
Der darf es sich dabei sogar erlauben, den alten Abenteurer und Frauenhelden dafür zu
kritisieren, dass er seine Zeit mit dem dummen Gänschen vergeudet. Stattdessen solle er
sich lieber noch einmal dem Leben stellen, aufs geliebte Meer hinausfahren und mit den
Elementen ringen. Erst einmal aber verarbeitet Hemingway angeregt durch die
angehimmelte Adriana die vordergründigen Eindrücke gepaart mit seinen
Kriegserlebnissen bei der für US-Army so bitteren Schlacht im Hürtgenwald zu dem Roman
Über den Fluss und in die Wälder.
Kaum verhüllt schreibt er dort so autobiografisch über den zerschlissenen
Kriegsveteranen Colonel Cantwell, der sich mit seinen 51 Jahren so rettungslos in die
blutjunge venezianische Contessa Renata verliebt, dass es peinlich wird. Das 1950
erscheinende Buch fällt bei Kritik wie Publikum weitgehend durch und nur das vermutlich
hochstilisierte erotische Verhältnisse macht einige Furore in der Presse.
Der weiter auf Kuba residierende Hemingway aber kehrt noch einmal zurück nach Venedig und
die erneuten langen, freundschaftlichen Gespräche mit Paolo auf den Bootsfahrten führen
zur großen künstlerischen Besinnung des Alten: wieder daheim, entsteht die Novelle
Der alte Mann und das Meer.
Hemingways letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Werk, für das er 1954 den Nobelpreis
erhielt, steht denn auch in diesem Roman mit einer bewegenden Szene am Schluss. Fazit: ein
meisterhaft erzählter Roman, der mit stiller Magie fesselt und eine wunderbare Hommage an
den von Genie und seinen Dämonen geplagten Kultautor bietet.
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