BERNARD MacLEVERTY: SCHNEE IN
AMSTERDAM
Stella und Gerry sind Ende 60 und verbringen einen Kurzurlaub in Amsterdam. Beide stammen
aus Nordirland, leben aber fast die gesamte Zeit ihrer über 40-jährigen Ehe im
schottischen Glasgow. Doch dieser winterliche Ausflug, den Stella ihm zu Weihnachten
geschenkt hat, ist nicht wirklich nur die beschauliche Besichtigungstour eines
Rentnerehepaares.
Vielmehr führt der irische Erfolgsautor Bernard MacLaverty mit Schnee in
Amsterdam mitten hinein in eine alte Ehe, die von mehr nur den Problemen wachsender
innerer Distanz bedroht ist. Dabei gibt es eine Vielzahl gepflegter Vertrautheiten bis hin
zum obligatorischen Küsschen bei Fahrten im Aufzug. Und sie haben sogar zwei Mal Sex in
den Vier Tagen ihres Hierseins.
Ohnehin empfindet sich Gerry, der mittelmäßige pensionierte Architektur-Dozent, als
glücklich verheiratet. Dabei trägt auch er den Spaltpilz für ihrer beider Beziehung in
sich, denn er ist so alkoholsüchtig, dass sein ständiges Trachten danach geht, nicht
trocken zu laufen, und noch mehr, das Ausmaß seiner Sucht vor Stella zu verheimlichen.
Der Spaltpilz auf Stellas Seite wiederum hat nicht nur mit der stärker empfundenen Leere
zu tun. Wobei Gerry, der Religion und Kirche wenig Neigung entgegenbringt, nicht ahnt, wie
inständig die gläubige Katholikin ihre Religiosität pflegt. Sogar das Reiseziel
Amsterdam hat sie nicht von ungefähr ausgesucht, denn ihr wichtigster Besuch gilt hier
dem berühmten Beginen-Hof.
Im Rahmen einer Lehrerkonferenz hatte sie dieses Zentrum einst kennengelernt, in dem im
Mittelalter Frauen allein ein freiwillig Gott geweihtes Leben führten. An so etwas denkt
nun auch die tiefgläubige Stella und will damit an ihrem Lebensabend endlich auch einem
heimlichen Gelübde nachkommen.
Auslöser dafür war ein Bombenanschlag, den sie als Hochschwangere im Nordirland-Konflikt
nur knapp überlebt hatte. Die Ereignisse hatten das junge Paar damals nach Schottland
weichen lassen und sie waren auch ein Grund für Gerrys wachsende Neigung zum Whisky. Auch
wenn er sich zum friedlichen Alkoholiker entwickelt hat, leidet die Beziehung
darunter, und dass der einzige Sohn seit längerem mit seiner Familie in Kanada lebt,
vergrößert für Stella noch die innere Leere.
Mit penibler Genauigkeit entlarvt MacLaverty in dem bereits preisgekrönten Roman die
eingefahrenen Muster von Vertrautheit und Entfremdung und die entstandenen Gräben
zwischen den Beiden. Stellas Sinnieren über eine Zukunft ohne ihn, sein nachhaltiger
Schock über einen nichzt ganz nüchternen Sturz in der Dusche und immer wieder kleine
aber oft beißende Missverständnisse einfach und zugleich subtil und tiefgründig
werden sie aus beider Blickwinkel dargestellt.
Fazit: ein ebenso kluger wie anrührender Roman voller Spuren von Tragik wie auch feiner
Komik, der den Leser nachdenklich aber nicht hoffnungslos zurücklässt.
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