NELSON MANDELA: „BRIEFE AUS DEM GEFÄNGNIS“

 
Nelson Mandela (1918-2013) wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden. Der Friedensnobelpreisträger von 1993 verbrachte 27 Jahre seines Lebens in Haft und wurde zugleich zu einer der größten moralischen Institutionen unserer Zeit.
Viel ist über diesen Mann geschrieben worden, ohne dessen Charisma, politisches Geschick und menschliche Größe die Südafrikanische Republik am Ende des Apartheidsregimes vermutlich in einem blutigen Bürgerkrieg versunken wäre. Nun aber liegt ein Buch vor, das den Menschen Nelson Mandela so unmittelbar kennenlernen lässt, wie es nur irgend möglich ist: „Briefe aus dem Gefängnis“, herausgegeben von Sahm Venter von der Nelson Mandela Foundation.
Als der Rechtsanwalt und Aktivist für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) 1962 im Rahmen des besonders brutalen Vorgehens des Regimes gegen den ANC verhaftet wird, ahnte er nicht, dass ihm insgesamt 27 Jahre im Gefängnis bevorstehen. Er war 44 Jahre alt, verheiratet und Vater von fünf Kindern und hing sehr an seiner Familie. Doch der gewaltlose Kämpfer wurde nicht irgendwo eingesperrt sondern im Hochsicherheitsgefängnis auf Robben Island.
Und er bekommt die ihm zugedachte Härte voll zu spüren, denn über Gebühr lange bleibt er in der untersten Häftlingsgruppe D mit den geringsten Rechten. Schon die äußeren Haftbedingungen waren ähnlich schikanös wie die Wärter, denn geschlafen wurde auf einer Sisalmatte auf dem Betonboden, es gab nur leichte Kleidung und kaltes Wasser auf der im Winter sehr unwirtlichen Insel und tagsüber mussten Steinklopfarbeiten verrichtet werden.
Noch härter aber traf den sensiblen Familienmenschen, dass er nur alle sechs Monate einen Besuch haben und nur wenige kurze Briefe schreiben durfte. Die selbstverständlich auch streng zensiert wurden, wobei manche erst nach Monaten oder gar nicht abgeschickt wurden. Dennoch nutzte Mandela jede Gelegenheit zum Schreiben und es wurden – zumal als die Restriktionen allmählich etwas gelockert wurden – hunderte, die er verfasste.
Aus all diesen überwiegend sehr persönlichen Briefen aus seinen insgesamt 10.052 Tagen in Haft wurden nun über 250 ausgesucht. Gut 90 Prozent davon waren bisher unveröffentlicht und etliche sind hier mit Fotos der Originale eingefügt. Viele haben nur überlebt, weil Mandela aus Furcht vor dem stets möglichen Verlust eines Briefs diese für sich kopiert hatte. Manche Schreiben waren nur noch schwer zu entziffern, weil die Zensoren Worte oder ganze Sätze gestrichen oder herausgeschnitten hatten.
Viele Briefe sind erschütternd voller Trennungsschmerz und Sehnsucht. Und von besonderer Trauer, als er weder zur Beerdigung seine geliebten Mutter noch zu der seines erstgeborenen Sohnes Thembi durfte, der durch einen Unfall ums Leben kam. Sehr liebevoll sind die Briefe an Ehefrau Winnie und zugleich verzweifelt hilflos, als auch sie für 17 Monate inhaftiert war und er nur moralische Unterstützung leisten konnte.
Im Vorwort beschreibt Enkelin Zamaswazi Dlamini-Mandela den Schmerz des Großvaters über all die Jahre, in denen er die Familie nicht einmal zu Besuch sehen durfte. Um so erstaunlicher sei seine unerschütterliche Haltung zur Hoffnung als Waffe gewesen: „Herzzerreißend
ist der wehmütige Optimismus, der aus vielen Briefen an meine Großmutter und seine Kinder spricht...“
Doch bei den privaten wie auch den an Behörden gerichteten Schreiben erweist sich Mandela immer auch als Meister der Worte, der stets wusste, was er nicht oder nicht offen sagen durfte. Aber auch bei allen notwendigen Verklausulierungen erkennt man den Menschen Nelson Mandela so unmittelbar wie nie zuvor: ein außergewöhnlicher Mann, den keine Macht der Erde beugen konnte, bis er 1990 tatsächlich freikommen und seinem Land noch unschätzbare Dienste leisten sollte als erster schwarzer Präsident und Politiker der Versöhnung.
Fazit: keine Hommage könnte einem die Persönlichkeit Nelson Mandelas näherbringen als diese Briefesammlung samt den erhellenden Erklärungen zu Entstehung, Bedeutung und teils auch zu Auswirkungen des Geschriebenen.

# Nelson Mandela: Briefe aus dem Gefängnis (aus dem Englischen von Anna und Wolf Heinrich Leube); 752 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 28

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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