SALMAN RUSHDIE: GOLDEN
HOUSE
Am 20. Januar 2009, als Barack Obama das Amt als 44. US-Präsident antrat, traf in New
York City ein ungekrönter König mit seinen drei mutterlosen Söhnen ein. Der etwa
70-Jährige kam aus einem fernen Land, verschwieg jedoch jedermann seine Vergangenheit.
Der kleine, gedrungene Mann mit dem dunklen Teint, den öligen Haaren und den stechenden
Augen führte nun den Namen Nero Julius Golden, war unermesslich reich und ergriff an
diesem Tag die Herrschaft.
Damit beginnt Salman Rushdie seinen mittlerweile 13. Roman unter dem Titel Golden
House. Das nämlich ist fortan die Residenz dieses mediengewandten, ebenso
narzisstischen wie skrupellosen Schurken: das Murray Mansion am Rande einer wunderschönen
Gartenanlage in Greenwich Village, 1840 erbaut und 1920 neoklassizistisch umgestaltet.
Chronist der Golden-Ära wird der in der Nachbarschaft wohnende junge und attraktive
Filmemacher René Unterlinden, der bald schon als Vertrauter tiefe Einblicke bekommt.
Es sei vorweg gesagt: wohl nie war der britisch-indische Erfolgsautor, der seit dem Jahr
2000 in New York lebt, so gegenwärtig mit einem stoff, und er überwältigt den Leser mit
grandioser wortgewaltiger Prosa und einer einzigartig vibrierenden Dramaturgie voller
Überraschungen. Zugleich lässt er seinen René von einem großen Film über Nero Golden
träumen, der den legendären Großen Gatsby noch geheimnisvoller und
gewaltiger als diesen in die Jetzt-Zeit überträgt.
Nicht von ungefähr hat dieser Nero auch für seine Söhne mythologisch befrachtete Namen
des alten Rom für die Metamorphose gewählt, die wohlvorbereitet mit Rafinesse, Prunk und
Protz eines sofort bewirken soll: wie selbstverständlich als dazugehörig akzeptiert zu
werden. Neros Ältester ist Petronius (42), Petya genannt und ein Autist mit schweren
psychischen Macken, der beim Entwickeln von Computerspielen allerdings einiges an Genie
aufblitzen lässt.
Ganz anders der ein Jahr jüngere Lucius Apuleius, der sich aber Apu nennt und ein
Nachtschwärmer ist. Doch er entwickelt sich zum bewunderten Maler mit Neigungen zu
Mystizismus, Drogen und Exaltiertheit. Der schönste dagegen ist der viel jüngere
Dionysos oder einfach nur D genannt - geboren von einer bedeutungslosen Frau.
Der allerdings nicht nur wegen der ihm unbekannten Mutter der mit der finstersten
Finsternis in sich ist, denn er hadert in rapide zunehmendem Maße auch mit seiner
Geschlechterrolle.
Aufstieg und Fall des despotischen neuen Amerikaners kommen endgültig in Fahrt, als der
virile Nero sich dazu hinreißen lässt, die betörende Vasilisa zu heiraten. Kaum älter
als Dyonisos, ist sie die Schöne, die sich ihrem Zaren hingibt. Doch Chronist
René erkennt die Frau aus Sibirien umgehend als Hexen-Königin, die den Alten in einen
raffinierten Deal gezogen hat: Alles ist Strategie. Das ist die Weisheit der
Spinne.
Derweil entzweit eine andere Frau Petya und Apu, denn die somalische Bildhauerin Ubah Tuur
fasziniert den gestörten Autisten mindestens so sehr wie ihren Künstlerkollegen Apu und
wird damit zu der Frau, die zwischen ihnen wie eine Gewitterwolke wirkt. Und
das große Theater der Golden-Inszenierung wird mit verwegenen Schnitten zur Griechischen
Tragödie, die in einem apokalyptischen Feuer endet.
Bis dahin hat der alternde Herrscher den Zorn der Götter, an die er nicht glaubt, in
immer neuen Schlägen zu spüren bekommen. Da kommt Apu um, weil er gegen alle Vernunft
die alte indische Heimat besucht womit der Chronist allmählich auch die
Mafia-Vergangenheit Neros aufdeckt. Der psychisch abgedriftete Dyonisos erschießt sich in
Frauenkleidern und Petya fällt einem der typisch US-amerikanischen Amokläufe zum Opfer.
Es ist jedoch Vasilisa, die dem zunehmend schwächelnden Nero den größten Schmerz antut,
und hier lässt sich selbst der Chronist auf fatale Weise in ihre Machenschaften
verstricken. Als Krönung ihrer Macht will sie dem Alten einen Sohn schenken, doch seine
Spermien erweisen sich als nicht mehr tauglich. So betrügt René als Erzeuger alle, die
ihn schätzen oder lieben. Der kleine Vespasian aber soll schließlich der einzige
Überlebende aus der getürkten Golden-Sippe sein.
Und er wächst hinein in eine neue Ära, in der der Joker sich anschickt,
neuer US-Präsident zu werden. War dieses Epos bis dahin schon mit sezierendem Blick eine
realitätsnahe Gesellschaftskritik, wird es endgültig zur galligen Satire über die
Gegenwart, wo Rushdie eine einzigartige Philippika gegen den echten Thronanwärter mit den
Worten einleitet: Er war vollkommen und nachweisbar geisteskrank. Wenn dann
zum Schluss vom Golden House nur noch rauchende Trümmer bleiben, ist der Joker
tatsächlich König geworden, dem untergegangenen Nero in seiner enormen Begabung fürs
Angebertum so ähnlich...
Fazit: ein ganz großer literarischer Wurf, genial in Stil, Aufbau und der Fülle des
ausgebreiteten Wissen sowie voller Zitate, die bleiben werden wie dieses: Aber wäre
die Natur des Menschen nicht ein Mysterium, bräuchten wir keine Dichter.
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