ROBERT HILBURN: „JOHNNY CASH“


Zu Johnny Cash (1932-2003) gibt es bereits etliche Biografien, warum also könnte die neue, voluminöse von Robert Hilburn da noch von Interesse sein oder gar wirklich Neues offenbaren? Weil Hilburn nicht nur jahrzehntelang als Musikjournalist zahlreiche Superstars auf ihren Tourneen begleitete, sondern den legendären „Man in Black“ besonder gut kannte und Zugang zu familieninternem Quellenmaterial hatte.
Der Titel heißt schlicht „Johnny Cash. Die Biografie“ und so schnörkellos und unprätentiös ist Hilburn auch ans Werk gegangen. Gleich zu Beginn geht er auch auf die beiden Autobiografien des Musikers ein: der sei ein guter Erzähler gewesen, aber kein sehr genauer. Und es gab den ein oder anderen Mythos, den der Biograf jetzt nüchtern entzauberte.
Kennengelernt hatte er Cash 1968 beim legendären Gefängniskonzert für das Live-Album „At Folsom Prison“, denn er war dort der einzige autorisierte Presseberichterstatter. 2003 war er schließlich der Letzte, der Cash und seine Ehefrau June Carter vor beider Tod interviewen konnte. Zum vielfältig eingeflossenen Quellenmaterial kommen dann noch zahllose Gespräche im Freundes- und Kollegenkreis der Beiden. Die Einblicke reichen teils weit in die ebenso intensive wie schillernde persönliche Beziehung Cashs zu June, die zeitweise fast so angefeindet wurde wie einst John Lennons Ehefrau Yoko Ono.
Hilburn geht konsequent chronologisch vor und beginnt folgerichtig bei der ärmlichen Kindheit in der einfachen aber stets sangesfreudigen Südstaatenfamilie. Die ersten Momente eigenen musikalischen Tuns als Funksoldat im deutschen Landsberg und die erste Gehversuche auf den Musikbühnen werden detailliert beschrieben und immer wieder einzelne Ereignisse mit Zeitzeugenaussagen unterlegt.
Ungeschönt beschreibt Hilburn die Exzesse mit Drogen und anderem, die schon Mitte der 50er Jahre einerseits zum strapaziösen Tour-Alltag dazugehörten, andererseits aber beim labilen Cash auch für folgenreichen physischen Raubbau sorgten. Aufstieg, Abstürze, Ehe und Affären, Hilburn zeichnet ein präzises Bild ohne zu verurteilen, aber auch ohne Heldenverklärung. Um so deutlicher stellt er zugleich die Rolle June Carters heraus, die seine „Wildwood Flower“ war und von immenser Bedeutung für sein Werk wie auch für seinen Glauben.
Durchgehend mitreißend liest sich das Alles auch als Geschichte der Country-Musik, denn die Entwicklung der Musikszene gerade ab den 60er Jahren ist das Umfeld dieses Stars und von ihm stark mitgeprägt. Studio- und Auftrittsalltag, das Entstehen wichtiger Songs einschließlich etlicher Textbeispiele (mit deutscher Übertragung!) fesseln da nicht nur den Musikliebhaber. Als wertvolle Bereicherung liefert Hilburn außerdem vieles an Kenntnissen über die Lebensbedingungen jener Zeit.
Zu den bewegendsten Passagen gehören schließlich jene ab 1990 mit Niedergang und unerwartetem Aufstieg zu nie gekannten Höhen. Stellte seine langjährige Plattenfirma Columbia ihr lahm gewordenes Zugpferd Anfang der 90er Jahre vertragslos, so dass Cash sich selbst als gescheitert empfand, gab es bald die eigentlich eher unwahrscheinliche, dann jedoch sensationelle Kooperation mit dem Ausnahmeproduzenten Rick Rubin.
Wie das umfangreiche hochgelobte und vielfach ausgezeichnete Alterswerk der „American Recordings“ enstand, das liest sich so mitreißend und großartig, wie es auch war. Wie sich Johnny Cash, fast blind und von Krankheit längst schwer gezeichnet, mit unglaublicher Energie und Schaffensfreude endgültig zur Musik-Ikone machte, das beeindruckt gerade in dieser zurückgenommen, nüchternen Berichterstattung. Um so eindrücklicher erweisen sich hier die Aussagen von Bewunderern und Kollegen wie Bob Dylan oder Bono (U 2).
Fazit: ein Experte des Genres schildert hier die Vita eines der Größten der Populärmusik in einer Art und Weise, dass man dieses Werk mit Fug und Recht als die ultimative Johnny-Cash-Biografie bezeichnen darf.

# Robert Hilburn: Johnny Cash. Die Biografie (aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind und Werner Roller); 847 Seiten, div. SW-Abb.; Berlin Verlag, Berlin/München; € 34

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bio 371 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de