RICH COHEN: DIE SONNE, DER
MOND & DIE ROLLING STONES
Als der gerade 26 Jahre alte Musikjournalist Rich Cohen 1994 vom Rolling
Stone-Magazin den Auftrag bekam, eine Rock & Roll Band für einen Artikel auf
ihrer aktuellen USA-Tournee zu begleiten, wurde daraus etwas ganz anderes. Bei den
Musikern handelte es sich schließlich nicht um irgendeine sondern um die, die schon
damals längst als greatest rock and roll band in the world bezeichnet wurde.
Und sicher auch war und ist.
Zwei Wochen mit den Rolling Stones unterwegs und dann auch noch viele weitere Begegnungen
aus der ohnehin großen Verehrung der Band wurde Faszination. Hinzu kam neben
zahllosen Gesprächen und Interviews auch mit früheren und aktuellen Zeitgenossen der
Stones ein solch intensiver Rechercheeinsatz, dass Cohen selbst die Schweizer Klinik
aufsuchte, in der Keith Richards einst versuchte, vom Heroin herunterzukommen.
Der war es auch, der für den Titel des ausführlichen Buches sorgte, das zu einem
regelrechten Band-Epos wurde. Die Sonne, der Mond & die Rolling Stones.
Diese Feststellung traf Keith, als er vom Alter des 1968 geborenen Journalisten hörte
dass der in einer Welt lebe, in der es von jeher die Sonne, den Mond und eben die
Rolling Stones gegeben habe. Deren Musik hatte ihn ohnehin von jungen Jahren an
begeistert, nun aber wurde er in Windeseile zum Insider aus allernächster Nähe.
Allerdings begnügte sich Cohen nicht mit all den Erlebnissen während der Tournee, wie
die Mitglieder ticken, welche Macken und Allüren sie pflegen und jene bis heute
knisternde Hassliebe zwischen Mick und Keith. Mit besten Chancen, Ungefähres,
Kolportiertes oder Gerüchte zu verifizieren, widmet sich der Autor den wesentlichen
Stationen der Bandgeschichte und geht sogar zurück bis zur grauen Nachkriegszeit in
England, in der die Gründungsmitglieder aufwuchsen.
Bei aller Verehrung schreibt Cohen gleichwohl nicht im Schongang und er macht auch kein
Hehl daraus, wen von den bewunderten Masterminds er rein persönlich mehr mag oder
gar als Freund empfindet. Mick ist der Charismatiker, aber auch eine Sphinx, die gern
redet, ohne wirklich etwas von sich preiszugeben. Immerhin geht Cohens Nähe zu ihm aber
so weit, dass er mit ihm und Martin Scorcese sogar am Skript für die HBO-Serie
Vinyl gearbeitet hat. Keith dagegen sei zwar schwierig mit zuweilen schwer zu
enträtselnden Äußerungen, wenn er jedoch offen rede, dann auch knallhart ehrlich.
Wer den weitgehend chronologischen Kapiteln folgt, durchlebt noch einmal eine
unvergleichliche Bandgeschichte, die zugleich ein großes Stück Kulturgeschichte unserer
Zeit prägte. Zu den Highlights gehört da die ausführliche Schilderung aus der
kreativmäßig gesehen goldenen Ära der Rolling Stones zwischen 1968 und 1973 und hier
u.a. die Entstehung des grandiosen Doppelalbums Exile on Main Street. Dieser
Sommer 1971 voller Exzesse samt Micks kapriziöser Eheschließung mit Bianca wird hier zu
einer Art Film im Film.
Und allein schon der Schauplatz hatte es in sich: Nellcôte, die Prachtvilla an der Côte
d'Azur, war zu Kriegszeiten das Quartier der Gestapo und in den Folterkellern entstanden
nun Rocksongs für die Ewigkeit. Und natürlich lässt Cohen auch die Drogen-Eskapaden
nicht aus, wo ganze Kapitel auf LSD und Heroin eingehen. Doch auch hier darf man
feststellen, dass er viele bekannte oder breitgetretene Geschichten aus erster Hand auf
ihren Tatsachengehalt durchleuchten konnte.
Die Fachwelt ist sich längst einig, dass die ehrlichste Geschichte über die Rolling
Stones wohl die Biografie Life ist, die Keith Richards 2010 veröffentlichte.
Feststehen dürfte aber ebenso, dass Rich Cohens Buch nicht nur hinreißend geschrieben
sondern vermutlich unter den zahlreichen Büchern über die Band ganz, ganz weit vorne
einzuordnen ist, wenn nicht sogar gleich hinter dem von Keith Richards.
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