HENNING ALBRECHT: „HORST JANSSEN“


Horst Janssen (1929-1995) war als Künstler ein Berserker, ständig unter Strom und dabei als Persönlichkeit ebenso faszinierend wie unerträglich. Zu Unrecht geriet der grandiose Zeichner, Grafiker und Radierer bald nach seinem Tod ziemlich weitgehend in Vergessenheit.
Um so verdienstvoller ist die erste umfassende Biographie zu dem Ausnahmekünstler, die Henning Albrecht unter dem Titel „Horst Janssen. Ein Leben“ nach sehr intensiver Recherche verfasst hat. Es sei gleich vorweg gesagt: der Historiker hat weder die durchaus mögliche Skandalchronik daraus gemacht noch eine ehrerbietige Hommage. So gehörten zu seinen jahrelangen Vorarbeiten neben umfangreichem Quellenmaterial rund 60 Gespräche mit Zeitzeugen dazu und das waren durchaus nicht nur Wohlgesonnene.
„Zu zweit bin ich eine Katastrophe – ich kann nicht allein sein.“ Doch Janssen konnte betören, hatte Charisma und war zuweilen ein amüsanter Charmeur, dann wiederum ein Ekel, beleidigend, unflätig, versoffen, maßlos und unberechenbar. Und wohl der abstoßendste Wesenszug: gewalttätige Ausraster gegenüber Lebenspartnerinnen, die in den frühen Jahren sogar zu einer kurzen Gefängnisstrafe führten.
Das Alles verstehbar zu machen, gelingt dem Biographen trotz der schier endlosen Reihe von Fehlverhalten Janssens in beeindruckender Weise. Die Quelle der Übel liegt in den unglücklichen Umständen von Geburt, Kindheit und Jugend. Seine Mutter aus einfachen Verhältnissen hatte eine Affäre mit einem Mann, der sich nie für das Kind interessierte, das ungewollt und von der ledigen Schneiderin ganz und gar unerwünscht zur Welt kam. Das Verhältnis zwischen der kalten Mutter und dem zarten Jungen war denn auch stets sehr ambivalent.
Dennoch gab es Zeiten in dem Kleineleute-Viertel in Oldenburg, die Janssen selbst als glücklich bezeichnete. Dort lebten auch die Großeltern. Allerdings wird das Kind sehr isoliert gehalten und dann stirbt der Großvater, der den Kleinen inzwischen adoptiert hatte. In diesen 30er Jahren war wie in weiten Teilen des Oldenburger Landes auch quasi die gesamte Familie nazi-freundlich. Es gab Parteigenossen in ihren Reihen und Mutter Martha Janssen war ebenfalls eine überzeugte Nationalsozialistin.
Als sie dann Anfang der 40er Jahre wie zuvor schon ihr Vater an TBC erkrankte, wurde der gerade zwölfjährige Horst auf ein Internat geschickt. Allerdings ein besonderes, denn es war eine der NaPoLa, die Nationalpolitische Erziehungsanstalt „Gau Weser-Ems“ im emsländischen Haselünne. Plötzlich also ist der Junge quasi gänzlich ohne Familie und er erlebt die Ankunft am 1. September 1942 als tiefen seelischen Schock. Die Zeit hier hinterlässt bei dem unsportlichen Außenseiter zusätzliche nie verwachsende Spuren.
„Die Kunst rettete ihn schulisch wie psychisch“, stellt der Autor fest, und dazu gehörte der Glücksfall des Kunstlehrers. Der erkennt das große Talent und fördert es nicht nur, er verschafft dem bisher wenig Gelittenen sogar eine gewisse Anerkennung. Wie der auch im Schreiben sehr begabte Künstler später in seiner Autobiographie erklärte, war er gleichwohl direkt nach dem Krieg für strikte gesellschaftliche Gepflogenheiten auf immer „versaut“.
Natürlich hatte die ideelle Durchdringung der faschistischen Lehranstalt tiefe Spuren hinterlassen, die es abzuschütteln galt. Als positiv haften aber blieb der Drill auf Leistung und Disziplin, denn bei bei allen Exzessen und Charakterschwächen blieb Janssen bis zum Ende seines Schaffens ein hochkonzentriert arbeitender unermüdlicher Kreativer mit einer ungeheuer umfangreichen Hinterlassenschaft als ernsthafter und unbestechlicher Kunstschaffender.
Zu einem weiteren Glücksfall wurde für den nach dem Kriegsende Entwurzelten Tante Anna. Die in Hamburg lebende unverheiratete Schwester seiner inzwischen verstorbenen Mutter adoptierte ihn und war bis zu ihrem Lebensende für ihn da. Und es gab eine dritte glückliche Fügung, denn mit gerade 16 Jahren schafft der Junge die Aufnahme an der Hamburger Kunsthochschule, wo Alfred Mehlau sein Lehrer und Förderer wird. Detailliert schildert Henning Albrecht den beschwerlichen Aufstieg des jungen Künstlers, der sich stets selbst der größte Feind war mit seinen von Kindheit und Jugend geprägten seelischen Deformationen.
Seine Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit und die Unfähigkeit zu Bindung und Nähe, der soziale Sadismusm die Depressionen und vor allem auch seine oft schrille Unberechenbarkeit machen ihn zum Bürgerschreck, wilden Frauenhelden und berüchtigten Säufer. Ein Berserker mit den Attitüden eines Dr. Jekyll/Mr. Hyde, wird er auch zum Opfer des Klatsches über seine Ausfälle und hier war es nicht nur die Boulevardpresse, die sich an der Skandalnudel ergötzte und den genialen Künstler damit in seinem Werk verblassen ließ.
„Meine Hölle bin ich selber“, postulierte Horst Janssen es einmal selbst und es ist das große Verdienst des Biographen, dass er das so extrem sensible und verletzliche ewige Spielkind so akribisch wie sachlich in all seinen schwierigen Facetten porträtiert. Fazit: eine ebenso brillante wie höchst unterhaltsam verfasste Biographie zu einem in jeder Beziehung außergewöhnlichen Künstler.

# Henning Albrecht: Horst Janssen. Ein Leben; 719 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 29,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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