PAUL JANKOWSKI: VERDUN
Am 21. Februar 1916 eröffneten kurz nach 7 Uhr morgens über 1.200 deutsche Geschütze
die Schlacht von Verdun. Bis zum Abend waren eine Million Granaten verschossen, das
blutige Ringen jedoch sollte noch 300 Tage bis in den Dezember hinein andauern. Damit
wurde Verdun die längste Schlacht des Ersten Weltkriegs, doch war sie wirklich auch die
Schlacht des Jahrhunderts, als die sie hochstilisert wurde?
Paul Jankowski hat nun eingehend untersucht, was dieses Ringen in Deutschland wie in
Frankreich zum nationalen Spektakel werden ließ. Verdun. Die
Jahrhundertschlacht ist das ebenso präzise wie spannend zu lesende Sachbuch des
Raymond Ginger Professors für Geschichte an der Brandeis University Boston
überschrieben.
Genau diese Gloriole jedoch widerlegt der Historiker in dem Werk, das nicht mit einer
chronologischen Schlachtenbeschreibung aufwartet, sondern beiderseits der Front
Hintergründe und Sichtweisen ergründet. Den von beiden Seiten schon bald nach
Schlachtende aufgebauten Mythos sieht der Historiker allein schon von der tatsächlichen
militärischen und politischen Bedeutung als zumindest nicht erstrangig begründet an.
Verdun war nur eine Schlacht von vielen in diesen vier Jahren und weder entscheidend noch
von nennenswertem strategischen Wert und sie zeitigte auch keine politischen Folgen.
Selbst der eigentliche Grund, weshalb die 5. Armee mit Kronprinz Wilhelm als Befehlshaber
und Erich von Falkenhayn als Generalstabschef ausgerechnet Verdun so massiv berannte,
bleibt im Unklaren. Die angebliche begründende Denkschrift Falkenhayns an Kaiser Wilhelm
II. wurde nie gefunden.
Die gewaltige Gegenwehr der Franzosen mit einer ganzen Armee stellt Jankowski allerdings
als ebenfalls schwer verständlich dar. So bleiben die nachträglichen Stilisierungen von
der Blutpumpe, von der Falkenhayn faselte, ein höchst fragwürdiger Versuch,
den Geggner durch eine solche unablässige Schlacht abzunutzen die Franzosen
beklagten im Übrigen zwar allein weit über 150.000 Gefallene, doch die Verluste der
Reichswehr waren fast genau so hoch.
Doch wie die Deutschen schon aus Prestigegründen die schwindende Aussicht auf einen
Gewinn dieser Schlacht nicht zu akzeptieren vermochten, wurde es für die Franzosen zu
einer Ehre für das Vaterland durchzuhalten und verlorene Festungen um jeden Preis
zurückzuerobern. Dabei hätte für beide Seiten ein Rückzug bzw. eine Aufgabe keinen
wirklich nennenswerten militärischen oder strategischen Verlust bedeutet. Um so
fesselnder lesen sich die jeweiligen Ansichtsweisen der Gegner und deren Analyse durch
Jankowski.
Wobei dieser auch bisher unveröffentlichte Primärquellen wie Briefe, Tagebücher und
Regimentsakten auswerten konnte, die belegen, dass ein Kippen der Truppenmoral auf beiden
Seiten der Front mehrfach durchaus drohte. Noch aber waren Desillusionierung und
Kriegsmüdigkeit nicht weit genug fortgeschritten, um massive Verweigerungen
hervorzurufen. Nach Verdun jedoch setzte die Mythologisierung der blutigen Schlacht ein,
bei der gerade auch aus politischen Gründen Hergänge und Verlustzahlen drastisch
aufgebauscht wurden.
Fazit: kein Schlachtengemälde sondern eine hervorragende Nabelschau und sachlich
nüchterne Analyse zur vermeintlichen Jahrhundertschlacht von Verdun und wie sie zum
Mythos verklärt werden konnte.
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