DEON MEYER: „ICARUS“


Der südafrikanische Krimiautor Deon Meyer zählt seit Jahren zur internationalen Spitze des Genres. Zu seinen Spezialitäten gehören neben den höchst interessanten Ein- und Rückblicken in die bis heute nicht ausgestandene Überwindung des Apartheidregimes auch seine hochklassigen Figurenzeichnungen.
Das gilt auch für den neuen Fall mit dem cleveren Polizeikapitän Bennie Griessel aus Kapstadt unter dem Titel „Icarus“. Zum Auftakt gibt es den Leichenfund einer sehr schillernden Persönlichkeit, gleichwohl hat sich Meyer diesmal weniger auf einen seiner gekonnten Thriller voller atemloser Spannung verlegt. Diesmal geht es weit mehr in die psychologischen Seiten und in die oft zähe, schwierige Ermittlungsarbeit.
Doch es sei vorweg gesagt: auch hier beweist er seine große Meisterschaft. Schon der Absturz Griessels in den Suff nach 602 trockenen Tagen und der bittere Kampf dagegen geben Raum für großartige Passagen. Ausgelöst wird sein Versagen durch den düsteren Fall eines erfolgreichen Kollegen. Den verfolgten die Dämonen des nicht Verarbeiteten offenbar so unentrinnbar, dass er seine ganze Familie und sich selbst auslöschte.
Dabei wäre Griessels bärbeißige Spürnase gerade jetzt so wichtig, denn das am Strand gefundene Mordopfer namens Ernst Richter hatte in seinen jungen Jahren bereits eine steile Karriere mit einem höchst zweifelhaften Geschäftsmodell gemacht. Seine Alibi-Agentur sorgte professionell für Vertuschungsmittel, wenn jemand sich außerehelich oder anderweitig diskret vergnügen wollte. Getürkte Hotelrechnungen und dergleichen waren dafür nützlich.
Allerdings hatte Richter sich offensichtlich Feinde gemacht, vor allem bei Kunden, an denen er doppelt verdienen wollte – die Möglichkeiten für Erpressungen waren einfach zu verlockend. Für die Kriminalbeamten aber waren es reichlich viele potentielle Tatverdächtige und der Roman führt tief hinein in die oft zähe oder in die Irre führende Ermittlungsarbeit.
Dadurch kommt auch Vaughn Cupido als Kommissionsleiter diesmal stärker in den Mittelpunkt als Griessel, denn bei dem steht mehr der unerbittliche hochprozentige Feind im Vordergrund. Was der Sogwirkung des Ganzen jedoch keinen Abbruch tut, zumal der Autor einen zweiten, scheinbar unabhängigen Erzählstrang eingeflochten hat. Hierbei geht es um die Zwiegespräche zwischen Francois du Toit, einen Winzer edler Tropfen, und seinen Rechtsanwalt, einen teuren Strafverteidiger.
Wenn schließlich erkennbar wird, wie die beiden Handlungsstränge doch miteinander zu tun haben, nimmt das überaus komplexe, dabei jedoch auch sehr realistisch geschilderte Geschehen immer mehr Fahrt auf. Mehr sei von dieser raffiniert ausgeklügelten und dabei durchweg stimmigen Geschichte nicht verraten. Deon Meyer ist nicht nur ein hochklassiger Krimi gelungen, der verwöhnt auch noch selbst anspruchsvolle Leser mit einer wahrhaft virtuosen Dramaturgie.

# Deon Meyer: Icarus (aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer); 429 Seiten; Rütten & Loening Verlag, Berlin; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1128 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de