HARALD MARTENSTEIN/TOM PEUCKERT:
SCHWARZES GOLD AUS WARNEMÜNDE
Man erinnert sich ja so genau an die Pressekonferenz vom 9. November 1989 in Ost-Berlin
und die historische Verkündung von Günter Schabowski. Allerdings war alles ganz anders,
denn die Sensation war in Wirklichkeit die Meldung über den Fund von Öl an der
Ostseeküste, der größten Lagerstätte der Welt.
Was in diesem Jahr in der unermesslich reichen Deutschen Demokratischen Republik gefeiert
wird, ist also keine Wiedervereinigung sondern das 25-jährige Jubiläum des sogenannten
Erdöl-Sozialismus. Und genau davon berichten zwei wohlbekannte Autoren in ihrem
hinreißend kontrafaktischen Roman Schwarzes Gold aus Warnemünde. Die auch
selbst auftretenden Autoren sind der westdeutsche Harald Martenstein und sein ostdeutscher
Freund Tom Peuckert, die abwechselnd aus der Perspektive ziemlich abgehalfterter
Enthüllungsjournalisten berichten.
Gleich zu Beginn macht sich die selbstverständlich noch immer allgegenwärtige
Staatssicherheit bemerkbar, als Peuckert dem plötzlich von der Bildfläche verschwundenen
Genossen Krolikowski nachspürt und den Ansatz mysteriöser Machenschaften herausfindet.
Der unter Hausarrrest stehende Geologe deutet an, den Ölschatz bereits 1985 entdeckt zu
haben. Worüber man grübeln darf, denn bald danach trat Stasi-General Markus Wolf
überraschend zurück.
Ein ungewöhnlicher Vorgang, allerdings wurde dann im Herbst 1989 erst Erich Honnecker
entmachtet und anschließend ebendieser Wolf als Erdölminister zum mächtigsten Mann im
Staate. Doch auch sonst tut sich Spannendes im paradiesischen Osten mit dem neuen
bedingungslosen Grundeinkommen von 6500 Mark (bei völliger Steuerfreiheit!),
wo das Leben mit dekadenten Genüssen und Gastarbeitern aus der verarmten BRD für die
Drecksarbeiten eine Art kontrollierte Bequemlichkeit für alle DDR-Bürger bereithält.
Kontrolle und Durchgreifen bei Zuwiderhandlungen müssen natürlich sein, aber
Reisefreiheit ist gleichwohl selbstverständlich, denn in ein solches Wohlleben kehren die
Leute allemal gern zurück. Da regieren die alten Blockparteien wie gehabt und nur die
DDR-Grünen sind neu und mosern quasi als Alibi über die Verseuchung von Ostsee und
Rügen als Begleiterscheinung der Ölgewinnung. Und es ist der unter Aufgabe seiner
Adelsprädikate 2011 zum Wirtschaftsminister in den Zwillingstürmen am Alexanderplatz
aufgestiegene Karl-Georg Guttenberg, der es auf den Punkt bringt: Im Vergleich zu
vielen anderen Staaten ist die DDR eine lupenreine Demokratie.
Wo eine waschechte Kommunistin wie Sahra Wagenknecht prompt einen Karriereknick erleidet,
während eine gewissen Angela Merkel nach Jahren hinter Gittern ins Exil flüchtet. Die
spitzfindige Satire befördert dagegen ganz andere Helden, wo der Investigativjournalist
zum Beispiel als Masseur getarnt dem Superstar des weltweit glänzenden Coumpterriesen
Robotron, einem gewissen Hartmut Mehdorn, das sensationelle Geheimnis entlockt:
Alles nur geklaut. Und dann kann er die Story nicht platzieren...
Doch es gibt noch viele, teils hinreißend schräge pseudorealistische Details aus 25
Jahren Erdöl-Sozialismus und kauzigen Chargen von Kulturminister Gregor Gysi über
Dschungelcamp-Moderatorin Kati Witt bis zu der aus dem Westen heimgekehrten Schlagermieze
Jelena Fischer. Selbst die Fußball-WM von 2014 wird umgedeutet, ziemlich böse sogar,
denn hier gehen Löws Jungs im Finale 1:7 gegen die DDR-Elf unter.
Fazit: dieser Episodenroman, der die Wirklichkeit so hintersinnig wie satirisch verdreht,
ist ein herrlich schillerndes intellektuelles Lesevergnügen vor allem für politisch
Interessierte.
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