JAMES
ELLROY: PERFIDIA
Brachiale Sprachgewalt, von Sarkasmus durchsetzt und ohne jede Scheu vor vulgären
Entgleisungen zeichnen die wuchtigen Krimis von James Ellroy aus. Etliche wurden zu
erfolgreichen Filmklassikern wie sein Debüt Die schwarze Dahlie. Das war auch
der Beginn seines L.A.-Quartetts, in dem er die Zeit von 1946 bis 1958 in seiner
Geburtsstadt Los Angeles grandios thematisierte.
Nun setzt Ellroy zu einem neuen Quartett an, das diesmal jedoch eine Art Prequel zu den
Vorgängern ist und dabei einen Teil der schon bekannten Akteure reanimiert. Das
allerdings in jüngeren Jahren, denn Perfidia als Auftakt spielt im Dezember
1941 und umfasst 120 rasant vorwärtspreschende Kapitel, die vom 6. bis zum 29. Dezember
1941 reichen. Die vier Hauptfiguren sind Kay Lake, Sergeant Dudley Smith und der echte
William Whiskey-Bill Parker (1905-1966), späterer Polizeichef von L.A., sowie
der brillante Forensiker Dr. Dr. Hideo Ashida.
Während die drei Erstgenannten bereits in den verfilmten Romanen des ersten Quartetts
mitwirkten, hat Ashida gleich zwei ganz schwere persönliche Hypotheken: am Vorabend des
japanischen Überfalls auf Pearl Harbour als unübersehbar Japanischstämmiger und wegen
seiner unterdrückten Homosexualität. Beides lässt ihn um Job und Familie fürchten. Und
ausgerechnet in dieser Situation soll das ebenso rabiate wie korrupte Policedepartment den
Selbstmord einer vierköpfigen japanischen Familie aus dem Villenviertel aufklären.
Der sich jedoch schnell als bestialischer Mord herausstellt, am nächsten Tag aber als
eher störend betrachtet wird, denn an diesem Sonntag, dem 7. Dezember 1941 um 11:34 Uhr
schallt die Nachricht vom japanischen Angriff aus dem Radios. Dudley Smith steht unter dem
Druck einer eiligen Aufklärung, nur der Täter darf kein Weißer sein. Für den
skrupellosen Cop, der seine Finger in so manchen schmutzigen Deals hat und ganz nebenher
mit Filmstar Bette Davis schläft, wäre das eigentlich kein Problem, dummerweise steht
ihm bei einer pragmatischen Lösung jedoch Kollege Parker im Weg, der unbedingt
Polizeichef werden will (was er 1950 auch tatsächlich schaffte!).
Diese Beiden sind aber nicht die einzigen schrägen Vögel in einer für Kriminelle
wunderbar moralfreien Stadt, in der sich neben Korruption und allgegenwärtigen
Durchstechereien nun der ohnehin verbreitete Rassismus durch den jetzt explodierenden
Patriotismus gewalttätig bahn bricht. Mittendrin in dieser brodelnden Melange tummeln
sich außerdem kaisertreue Japsen, Faschisten und Nazi-Freunde, aber auch
echte Gangster wie Bugsy Siegel mischen mit.
Eine der hinreißendsten Rollen kommt in diesem wilden, atemlosen Tanz Kay Lake zu. Die
21-Jährige mit dem Hang zum Lotterleben, der Hemmungen ziemlich fremd sind, lässt sich
als Spitzel anheuern, um sozialistische Kreise in Hollywood zu unterwandern. Dabei
begegnet sie auf ausschweifenden Parties auch echten Promis wie Gloria Swanson, Joan
Crawford oder Film-Boss Harry Cohn. Und sie stiehlt, lügt und betrügt und ist doch nicht
verkommener damit als sämtliche Protagonisten bis hin zum echten Bürgermeister Fletcher
Bowron mit seinem wie selbstverständlich zelebrierten Antisemitismus.
Es sind nur drei Wochen, durch die James Ellroy seine immer wieder faszinierenden Helden
treibt, die aber reichen, um die Stadt der Engel als Pfuhl der Verderbtheit zu
entlarven. Wobei er die historische und die erfundene Realität unauflöslich miteinander
verquickt und den Leser geradezu atemlos und staunend nach diesem knallharten
Krimi-Parforceritt zurücklässt. Natürlich ist auch dieses gallige Meisterwerk aus der
Feder des Sprachberserkers nichts für Zartbesaitete, um so mehr drängt es sich wie seine
Vorgänger für eine große Verfilmung auf. Und auf die darf man wohl garantiert wetten.
PS: Perfidia heißt übrigens in etwa Treulosigkeit, Verrat und
war zugleich zu dieser Zeit ein berühmter Schlager, der bestens zu dieser Geschichte
passt.
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