DAVID KING: WIEN 1814
Vor 200 Jahren begann mit dem Wiener Kongress die langwierigste aber auch erfolgreichste
Friedenskonferenz der Weltgeschichte. Ab dem 18. September 1814 kamen rund 150 Monarchen,
Diplomaten und andere hochrangige Vertreter sämtlicher Staaten zusammen, um nach der
Vertreibung Napoleons für eine Neuordnung des Kontinents zu sorgen.
Diesem neunmonatigen Ringen in der Hauptstadt des Habsburger-Reiches widmet sich der
amerikanische Historiker David King mit seinem Sachbuch Wien 1814. Von Kaisern,
Königen und dem Kongress, der Europa neu erfand. Mit einigen Wochen für die
Verhandlungen hatten die Großen und Mächtigen aber auch Frankreichs umtriebiger
Verhandlungsführer Talleyrand gerechnet, doch es sollte bis zum 6. Juni 1815 dauern, bis
man den Friedensvertrag unterzeichnen konnte.
King schaut bei seiner Untersuchung jedoch insbesondere hinter die Kulissen und auf die
vielen sehr illustren Protagonisten, deren Umtriebe er teils geradezu romanhaft
beschreibt. Und da gab es reichlich zu berichten, denn dieser Kongress war nicht so, wie
man sich allgemein einen solchen vorstellt: die Entscheider und ihre Berater treffen sich
in großen Sälen, beraten und beschließen. Nicht so in Wien, wo unter der gewieften
Leitung des österreichischen Außenministers Fürst Klemens von Metternich überwiegend
in kleinen quasi privaten Treffen hin und her verhandelt wurde.
Allen voran standen die großen Vier: Österreich-Ungarn, Russland, Großbritannien und
als Großmacht erst noch im Werden Preußen. An ihrer Seite standen dann
noch die diversen kleinen Staaten und als Gegenpart Frankreich, das nun unter dem
wiedereingesetzten Louis XVIII. wieder ein normales Königreich war.
Mindestens so wichtig waren jedoch die vielen prachtvollen Bälle und Feste, wo die
Hochmögenden zwar auch Fäden knüpften, in erster Linie aber ihrer ungehemmten
Vergnügungssucht frönten.
Historiker King beleuchtet viele der Affären und Intrigen ebenso genüsslich wie all die
Umtriebe von Geheimdiplomatie und Spionage. Wobei Metternich der raffinierteste
Strippenzieher war, während der umschwärmte Zar Alexander sich als besonders
ausschweifender Frauenfreund erwies. Der Autor stützt sich bei der Schilderung des
sinnenfrohen Politcircus und mancher Exzesse unter anderem auf die Korrespondenz und
Tagebücher von Diplomaten und hohen Damen und sorgt für ein ebenso buntes wie
authentisches Bild dieser vermeintlichen Operettenkulisse, über die das berühmte Zitat
des genervten Fürsten de Ligne überliefert ist: Der Kongress tanzt, aber er kommt
nicht voran.
Womit ein entscheidender Aspekt berührt wird. Es kam sehr wohl zu einem Friedensvertrag
und als der am 9. Juni 1815 unterzeichnet wurde, setzte er die Grundlage für die längste
Periode ohne größere Kriege, die Europa jemals erlebt hat. Erst 99 Jahre später brach
mit dem Ersten Weltkrieg wieder ein großer Vielstaatenkrieg aus. Und der Kongress setzte
auch ansonsten Maßstäbe für die Weltpolitik, denn er widmete sich wegweisend auch
humanitären Themen wie der Verurteilung des Sklavenhandels, der bürgerlichen Rechte für
Juden und dem Urheberrecht.
Das stärkste Kapitel jedoch hat King ausgerechnet über einen Nebenaspekt des Wiener
Kongresses verfasst die Rückkehr Napoleons von Elba und seine endgültige
Niederwerfung in der Schlacht von Waterloo (eine Woche nach Ende des Kongresses!).
Natürlich beeinflussten die unerhörten 100 Tage seiner erneuten Machtergreifung auch den
Abschluss der Verhandlungen. Und der Historiker schildert nicht nur in glänzender Manier
die Schlacht sondern auch Napoleons schmählichen Abgang und die nun erforderliche neue
Friedenskonferenz.
Das Alles liest sich höchst lebendig, allerdings geht der hohe Unterhaltungswert zuweilen
auf Kosten von wissenschaftlicher Tiefenschärfe und Analyse. Zumindest für den
interessierten Laien jedoch ist dies Geschichtsschreibung so spannend wie ein Roman.
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# David King: Wien 1814. Von Kaisern, Königen und dem Kongress, der Europa
nmeu erfand (aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Hans Freundl und Norbert
Juraschitz); 512 Seiten; Piper Verlag, München; 29,99
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
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