MICHAEL KÖHLMEIER: „ZWEI HERREN AM STRAND“


Vielen vielleicht nicht bekannt, waren Winston Churchill und Charlie Chaplin enge Freunde. Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt dieser Verbindung zwischen dem bärbeißigen Politiker, der aus vornehmsten Kreisen stammte, und dem weltberühmten Komiker und Schauspieler, der quasi aus der Gosse kam, war der beiden gemeinsame Hang zu schweren Depressionen.
Die erste Begegnung dieser beiden in vielem so ungleichen Engländer in einem Strandhaus im kalifornischen Santa Monica 1927 bei einer Party ist auch der Ausgangspunkt für den jüngsten Roman von Michael Köhlmeier. „Zwei Herren am Strand“ lautet der Titel und gemeint sind damit Churchill und Chaplin, der eine zu der Zeit Schatzkanzler der konservativen Regierung Baldwin, der andere zwar einer der berühmtesten Filmstars weltweit, derzeit jedoch gerade mitten in einem hässlichen Rosenkrieg gefangen.
Entlang der realen Weltgeschichte und der Vita der beiden großen Männer erzählt der gewiefte österreichische Romancier nun eine Geschichte, von der man nur ahnen kann, wo sie Reales schildert und wo es raffiniert und überaus glaubhaft erfunden ist. Gemeinsame Feinde schweißen bekanntermaßen besonders zusammen und lange, bevor ein gewisser Hitler Churchill zur Hochform auflaufen aber auch Chaplin auf geniale Weise tätig werden lässt, setzt ihnen ein stets lauernder innerer Feind zu, der „Black Dog“, wie er von Psychologen damals genannt wird.
Es knüpft sich sofort ein Seelenband, als die beiden da am Strand einander eröffnen, wie der schwarze Hund der Depressionen zuweilen mit niederdrückender Heftigkeit über sie hereinbricht, alles in Düsternis taucht und jegliches Agieren lähmt. Es ist ihr Geheimnis, das jeder von ihnen bereits im zarten Alter von sechs Jahren erstmals eine Situation durchlitt, die ihn an Suizid denken ließ. Aus diesen Gesprächen entsteht eine Art Notgemeinschaft und sie schwören einander: wann immer einer wegen des Black Dogs um Hilfe ruft, wird der andere zur Rettung herbeieilen.
Was dann tatsächlich wiederholt geschieht und im Roman an viele verschiedene Schauplätze führt. Es kommt zu großartigen Dialogen voller Esprit aber auch Tiefe und immer wieder blitzen belegte historische Szenen im romanhaften Kleid auf. Den schweren Autounfall Churchills von 1931 in New York nutzt der Autor zu einem intensiven Austausch der Freunde, doch auch die Nicht-Begegnung zwischen Churchill und Hitler 1932 in München hat es wirklich gegeben und funkelt hier in ihren Formulierungen wie so vieles andere.
Immer wieder wird zudem der Gedankenaustausch eines namentlich nicht genannten Österreichers mit William Knott, dem allerpersönlichsten Privatsekretär des Premierministers, angeführt, der viel Persönliches aus dem Lebensumfeld und von den Lebensgewohnheiten des Politikers offenbart. Wogegen der Wahrheitsgehalt eines großen und sehr weitgehenden Interviews des greisen Chaplin mit einem deutschen Journalisten ungewiss ist. Wer allerdings Köhlmeiers Hang zu intensiven Recherchen kennt, darf zumindest auf manch Belegbares auch in diesen spannenden Passagen bauen.
Ausgesprochen kunstvoll und zugleich auf seine Weise prall vor Leben steuert der ebenso geistreiche wie fesselnde Roman schließlich auf ein hinreißendes Finale zu – und einmal mehr von der Art, dass das meiste wahr und das Fiktive kaum als solches zu erkennen ist. Souverän hat Michael Köhlmeier das im Stil einer langen Reportage geschrieben, die mit höchstem Genuss zu lesen ist, weil sie bei aller Leichtfüßigkeit doch nie die Bodenhaftung des Seriösen verliert. Fazit: ein grandioses Stück Literatur zwischen Dichtung und Wahrheit.

# Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand; 254 Seiten; Carl Hanser Verlag, München;

€ 17,90


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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