RHIDIAN BROOK: „NIEMANDSLAND“


Gut ein Jahr nach dem Kriegsende in Hamburg: die Stadt ist eine Ruinenwüste, zu den vielen Ausgebombten kommen noch Flüchtlinge, entwurzelte Waisenkinder stromern herum auf der Suche nach Nahrungsmitteln und im nahenden Rekordwinter 1946/47 gehen die Darbenden unter oft abenteuerlichen Wagnissen auf Kohlenklau.
Die britischen Besatzer mühen sich mit dem Spagat, der demoralisierten Bevölkerung wieder eine Ordnung zu geben und zugleich die Entnazifizierung voranzutreiben. Aus dieser so realen und doch bisher kaum thematisierten Nullzeit hat der britische Erfolgsautor Rhidian Brook seinen spannenden Roman „Niemandsland“ geschaffen. Und wenn der so unglaublich authentisch wirkt, als wäre er selbst dabei gewesen, so liegt das an den Wurzeln für den Stoff.
Es ist zum erheblichen Teil die wahre Geschichte seines Großvaters Colonel Walter Brook, der 1946 als Militärgouverneur – offizielle Bezeichnung „Kreis Resident Officer“ - nach Hamburg kam. Er stand mit seinen Leuten vor der schier unlösbaren Aufgabe, den Wiederaufbau und die Versorgung sicherzustellen. Zugleich durften die Militärkräfte im Herbst ihre oft lange entbehrten Familien nachkommen lassen. Mit einer problematischen Folge: sie requirierten dafür deutsche Häuser und schickten deren Bewohner in Notunterkünfte.
Das ist auch der Ausgangspunkt für den Roman, in dem für Colonel Lewis Morgan die prächtige an der Elbe gelegene Villa des Architekten Stefan Lubert beschlagnahmt wird. Morgan allerdings tut etwas Unerhörtes, nachdem das Fraternisierungsverbot noch gar nicht lange aufgehoben ist – er vertreibt die Bewohner nicht, denn es sei Platz genug für zwei Familien und des Hauspersonals. Ein schwieriges Miteinander lässt schon Luberts Einschätzung vor dem Personal erahnen: „Die Engländer sind vielleicht unkultiviert, aber nicht brutal.“
Nicht nur die vom BDM geprägte 15-jährige Tochter Frieda hat da ihre heftigen Vorbehalte und das nicht zuletzt, weil ihre Mutter in dem durch RAF-Angriffe ausgelösten verheerenden Feuersturm im Juli 1943 verschollen ist. Noch schwerer tut sich Lewis' Ehefrau Rachael, die seit dem Tod ihres 14-jährigen Sohnes Michael durch eine deutsche Fliegerbombe psychisch angeschlagen ist, mit den ehemaligen Feinden unter einem Dach leben zu sollen. Ganz anders geht dagegen Sohn Edmund mit seinen elf Jahren damit um.
Über die sich daraus ergebenden Konflikte hinaus schildert Brook auch das Treiben der verwahrlosten streunenden Kinder und den komplizierten Umgang mit so vielen traumatisierten Menschen, die lernen müssen, mit der Niederlage und ihren Folgen fertig zu werden. Es entstehen dramatische Verwicklungen bis hin zu verstreuten jungen Menschen, die derartig von der Nazi-Ideologie indoktriniert sind, dass sie in ihren Rachegelüsten zu einer echten Gefahr werden.
Diese komplexe Gemengelage entfaltet sich zu einem regelrechten Thriller, sei es in unmöglichen Liebesbeziehungen, sei es in kriminellen Akten. Das fesselt nicht nur, das fasziniert gerade auch in dem Bewusstsein, dass Ähnliches ganz real so passiert ist, zumal Brook ein exzellentes Zeit- und Lokalkolorit gelungen ist und auch die vielen gegensätzlichen Charaktere sehr authentisch erscheinen. Fazit: ein echtzeithistorischer Roman mit viel Atmosphäre aus einer von vielen Zeitzeugen verdrängten Epoche zwischen Kriegsende und mühsamem Neubeginn aus Trümmern.

# Rhidian Brook: Niemandsland (aus dem Englischen von Maria Andreas); 381 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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