JESSICA KEENER: „SCHWIMMEN IN DER NACHT“


Beinahe 20 Jahre schrieb Jessica Keener an ihrem ersten Roman und trotz vieler Schreibpausen ist das teils autobiographisch beeinflusste Werk bei allem Ernst eine geradezu leichtfüßig erzählte Geschichte geworden.
„Schwimmen in der Nacht“ lautet der Titel und die da schwimmt, ist die 16-jährige Sarah Kunitz, als sie erstmals an einem See die Liebe erlebt. Das allerdings ist Vergangenheit, denn die Ich-Erzählerin berichtet nun gut 20 Jahre nach der Zeit des Erwachsenwerdens von den überaus schwierigen Zeiten in ihrer Familie. Die lebte in der Kleinstadt Soquaset nicht weit von Boston, wohlhabende, nur wenig praktizierende Juden in einem großzügigen Haus, in dem alle vier Kinder ihr eigenes Zimmer hatten.
Vater Leonhard lehrt Englische Geschichte an der Hochschule, führt sich zu Hause jedoch als launischer Despot mit Brüllattacken auf. Die Mutter dagegen hat als ehemalige Geigerin wegen der Kinder ihre Karriere aufgegeben, ist für sie aber auf Grund ihrer schweren Depressionen oft genug nicht wirklich präsent. Nach außen hin allerdings erscheinen die kultivierten Kunitz' als Vorzeigefamilie, obwohl beide Eltern nicht nur bei den häufigen geselligen Abenden ziemlich hemmungslos dem Alkohol zusprechen.
Sarah und ihre drei Brüder entwickeln sehr eigene Methoden, um mit diesen Lebensverhältnissen zurechtzukommen. Mag Sarah, die in diesen 70er Jahren in der Schule durchaus auch Antisemitismus erlebt, ihre Familie mit all den überwiegend unterdrückten Konflikten auch als Katastrophe empfinden, so erschüttert bald eine wirkliche Katastrophe das ohnehin brüchige Kartenhaus, als die Mutter stirbt.
Ihr Tod ist um umso schwerer zu verkraften, als er so deutlich nach Suizid aussieht. Wochen zuvor hatte sie einen Verkehrsunfall nur knapp überlebt und jetzt war das Geschehen dem verdächtig ähnlich, als sie auf einer Kreuzung mit dem Auto einfach stehenblieb und von einem Lastwagen überrollt wurde. Auf Sarah kommt die Rolle als Mutterersatz für ihre Brüder zu, die sie jedoch überfordert. Und dann ist da diese erste Liebeserfahrung, die großen Ärger heraufbeschwört und sie außerdem auch zu einer Abtreibung nötigt.
Nun, da sie all jene bewegenden Erlebnisse aus ihrer Jugend erzählt, hat sie sich längst gefangen und lebt als erfolgreiche Folk-Sängerin. Doch auch die jeder auf seine Weise sehr eigenwilligen Brüder haben trotz dieser so belastenden Familiengeschichte ihren Weg gemacht. Und die Autorin versteht es, das Alles trotz mancher Dramatik nie zu gravitätisch werden zu lassen. Dabei überzeugen die gut gezeichneten Charaktere wie auch die Lebensnähe dieses feinsinnigen, anspruchsvollen Romans bis zur letzten Zeile.

# Jessica Keener: Schwimmen in der Nacht (aus dem Amerikanischen von Maria Hummitzsch); 335 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 19,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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