NORBERT LEITHOLD: „HERRLICHE ZEITEN“


Fabrikant Hermann Kypscholl hat gut feiern in seiner arisierten mondänen Villa am Wannsee. Man schreibt das Jahr 1939 und auch ohne parteipolitische Verrenkungen hat er es dank seiner Geschäfte mit den Nazis zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Für den feingeistigen Sohn Otto und dessen Maltalent und Wunsch nach einer Künstlerkarriere hat er keinerlei Verständnis, während ihm Tochter Anna als glühende Befürworterin der Nazi-Rassentheorien eher gleichgültig ist.
Für Hermann Kypscholl sind es herrliche Zeiten und „Herrliche Zeiten“ heißt auch der große Generationenroman, den Norbert Leithold in jahrelanger, mit intensiven Recherchen angefüllter Arbeit darüber verfasst hat. Der kantige Unternehmer löst das Poblem mit dem nicht sonderlich geschätzten Sohn, indem er ihn einfach in die Wehrmacht drängt. Wo der Filius aber doch noch etwas mit seinem Kunstsachverstand anfangen kann und sogar in der SS eine steile Karriere macht.
Bald schon ist er im besetzten Teil Europas unterwegs und requiriert an Kunstschätzen, was er nur kriegen kann für Reichsmarschall Hermann Göring, den er für sich den „dicken lieben Gott“ nennt, was durch und durch ehrerbietig gemeint ist. Was ihn allerdings nicht davon abhält, das ein oder andere schöne Stück für sich abzuzweigen – der Gedanke an die Raubkunst-Affäre Gurlitt erscheint da durchaus naheliegend. Während Otto so wenig skrupulös auf etwas andere Weise sein Wirken der Kunst widmet, verläuft die Karriere von Schwester Anna deutlich gradliniger, denn als aktive Erfüllungsgehilfin des NS-Rassenwahns leitet sie bald ein Heim des Lebensborns zur Schaffung germanischen Nachwuchses.
Natürlich bedeutet die Kriegswende und der Zusammenbruch des gesamten Systems eine krasse Wende für die Aufsteigerfamilie. Fabrikant Hermann Kypscholl wird als Kriegsverbrecher angeklagt und verstirbt in der Untersuchungshaft. Dort erwartet SS-Gruppenführer Otto Kypscholl zwar sogar Schlimmstes, er wird dann jedoch gebraucht zur Identifizierung all der geraubten Kunstschätze. Anna aber erlebt zunächst ganz Übles im Osten, wo Vergewaltigungen durch Rotarmisten und ein so empfangenes Kind sie fast um den Verstand bringen.
Doch die Geschwister haben offensichtlich viel von der robusten Art des ungeliebten Vaters geerbt, denn Anna rappelt sich im neuen DDR-Staat zur Hebamme auf und nutzt ihre Stellung sogar zur weiteren aktiven Verfolgung von Rassenwahn, dem so mancher nicht ganz gesund geborener Säugling zum Opfer fällt. Otto dagegen wird zwar auch in der neuen Bundesrepublik nicht zum Künstler, bleibt aber ein skrupelfreies Schlitzohr. Mit den im Krieg beiseite geschafften Kunstwerken baut er ein Auktionshaus auf und großes Geld macht er mit den Antiquitäten, die er nichtsahnenden DDR-Bürgern abluchst.
Wenn der immer intensiver werdende Familienroman schließlich bis zu den Studentenunruhen der 68er-Zeit geht und Karl und Regina als die Kinder von Otto und Anna ins Spiel kommen, schließt sich auf gewisse Weise der Kreis, denn auch sie haben ihre massiven Probleme mit den Eltern. Das Alles ist episch breit und dennoch fesselnd geschrieben. Wenn sich die Charaktere dabei recht plakativ und teils sogar grell überzeichnet präsentieren, tut das der exemplarischen Wirkung um so weniger Abbruch.
Dieser Roman einer Familie entlang und inmitten von Zeitgeschichte erinnert in der Grundstruktur in vielem an Thomas Manns „Buddenbrooks“, der Leser sollte jedoch keine ähnlichen literarischen Qualitäten erwarten. Ein großes Lesevergnügen vor realem, authentischem Hintergrund aber ist er allemal.

# Norbert Leithold: Herrliche Zeiten; 528 Seiten; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 22,99


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1003 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de