SIMON BECKETT: „DER HOF“


Simon Beckett kann auch ganz anders, wie er mit seinem neuesten Roman „Der Hof“ eindrucksvoll unter Beweis stellt. Mit den Thrillern um den Rechtsmediziner David Hunter hat er sich eine breite Anhängerschaft erworben, doch wer in dem neuen Werk ohne Hunter einen ähnlichen atemlosen und knallharten Reißer erwartet, wird zumindest anfangs eher enttäuscht sein.
Von Beginn an wird die Geschichte von dem jungen Engländer Sean erzählt, der in einer abgelegenen ländlichen Gegend in Frankreich unterwegs ist. Offensichtlich auf der Flucht in einem beschädigten Auto mit Blutspuren und einem Päckchen Stoff im Kofferraum, beides ursprünglich nicht seins. Er entledigt sich des Wagens und schlägt sich in der dumpf brütenden Sommerhitze durch die Büsche, um niemandem aufzufallen. Bis er in eine Tierfalle tritt und gefangen ist.
Fast bewusstlos vor Schmerzen und Blutverlust aus dem zerfleischten Fuß, schleppen ihn schließlich zwei junge Frauen zu einem heruntergekommenen Bauernhof, der wie eine Festung abgeschottet ist. Mathilde und die jüngere Gretchen sind die Töchter von Arnaud, dem ebenso despotischen wie brutalen Hofbesitzer. Er hat diese und weitere Fallen auf dem weitläufigen Gelände aufgestellt, weil er keine Fremden auf dem Hof duldet. Nur knurrend lässt er zu, dass die sanfte Mathilde, die auch noch ein Baby hat, den unfreiwilligen Gast gesundpflegt.
Die Stimmung ist klaustrophobisch und bessert sich auch nicht, als sich Sean allmählich wieder etwas bewegen und umschauen kann. Am unheimlichsten erscheinen ihm da die von Arnaud gezüchteten Sanglochons, aggressive Allesfresser, gezüchtet aus einer Kreuzung von Wildschweinen und schwarzen Hausschweinen. Überraschenderweise gestattet der finstere Bauer Sean zu bleiben, wenn er dafür mitarbeitet. Was der gern aber ohne Freude annimmt, denn eine Heimkehr nach England kann er nicht riskieren.
Warum das so ist und warum er flüchten musste, eröffnet sich erst allmählich in Rückblenden, wie Beckett hier ohnehin seine Meisterschaft der nur schrittweisen Enthüllungen pflegt. In verschiedenen Geschwindigkeiten erzählt, fördert das zusätzlich die längst unentrinnbar gewordene Sogwirkung dieses recht langsam erzählten Romans. In der lähmenden Hitze brütet etwas unterschwellig Düsteres und die Unberechenbarkeit seiner Gegenüber zermürbt Sean, der sich dabei vor allem der Avancen des verführerischen Nymphchens Gretchen erwehren muss.
Waren die stückchenweise gelüfteten Geheimnisse um seine Londoner Vergangenheit schon gefährlich, so sind Arnauds Geheimnisse nicht nur dunkelböse sondern auch tödlich. Und wer da meint, manches sei durchschaubar, wird immer wieder überrrascht von geradezu beängstigenden Wendungen. Die Glaubhaftigkeit dieses Krimi noir in der französischen Sommerglut nährt sich dabei von den glänzend gezeichneten Charakteren und der dichten, oft furchteinflößenden Atmosphäre. Die verengte Sicht nur aus Seans Augen steigert das Empfinden der Ausweglosigkeit und der Bedrohung obendrein und das bis ins dramatische Finale.
Ein psychologischer Krimi, der seine Geschichte subtil und mit faszinierenden Spannungselementen erzählt, ist dies ein Meisterwerk des Genres. Und so wie sich Sean als großer Fan französischer Filme bekennt, eignet sich „Der Hof“ hervorragend für eine Verfilmung.

# Simon Beckett: Der Hof (aus dem Englischen von Juliane Pahnke); 458 Seiten; Wunderlich Verlag, Reinbek; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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