MALTE HERWIG: „DER GROßE KALANAG“


Die Zauberformel „Simsalabim“ war gewissermaßen die >Lebensformel für Hermann Ewald Schreiber (1903-1963), einer der schillerndsten Figuren des deutschen Kulturbetriebs im 20. Jahrhundert. So schillernd, dass Malte Herwig als Biograf zum Schluss betont: „Denn dieses Buch ist kein Roman, sondern eine wahre Geschichte. Für einen Roman wäre Kalanags Leben zu unglaubwürdig.“
„Der große Kalanag“ lautet der Titel der Biografie, dabei war der gerade erst 16-jährige Amateurzauberer eher durch Zufall und sogar gegen seinen Willen an diesen Künstlernamen aus Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ gekommen. Der nur ansatzweise zutreffende Untertitel erklärt im Übrigen „Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“.
Eben damit setzt die Biografie ein: von den gutgläubigen britischen Entnazifizierern in deren Besatzungszone mit Milde behandelt, ist Schreiber zum Profi-Zauberer gewechselt und hat nach bombastischen Erfolgen mit seiner opulenten Zauber-Show in Hamburg nun Anfang 1951 einen skeptisch beäugten Auftritt als „Europas führender Zauberkünstler“ im legendären Londoner Stoll Theatre. Der ebenso zum Triumph wird wie die folgenden Welttournee mit verwegen großem Tross.
Ein eleganter Einstieg, der gespannt auf die unglaubliche Vita dieses lebenslangen Täuschungskünstlers macht, der ein Meister der der Selbsterfindung war und mit fast jedermann mit Charisma und raffinierter Redekunst zu manipulieren verstand. Dem frühen Aufstieg zum Präsidenten des Magischen Zirkels zum Trotz betrieb der Sohn eines angesehenen schwäbischen Textilkaufmanns dieses Metier allerdings bis zum Kriegsende nur als Amateur.
Hauptberuflich brachte er es bis zum Produktionsleiter in der Filmbranche. Als NS-Karrierist gelangte er bis auf den Posten des Vizedirektors bei den Bavaria-Filmstudios, wo er auch für Propagandafilme und sogar das einzige antisemitische Musical verantwortlich war.
Seine wahr Berühmtheit jedoch erlangte er in diesen Jahren als besonderer Liebling der Nazis mit seinen Zauberkunststücken. Mit denen er sogar auf Hitlers Obersalzberg eingeladen und den Führer wie dann auch Goebbels und Göring begeisterte. Ein Hitler-Porträt mit persönlicher Widmung zierte später Schreibers Büro und nur schwer konnte er nach dem Zusammenbruch vermitteln, dass er kein NSDAP-Mitglied gewesen sei.
Einen besonderen Coup aber bescherte dem ebenso planvollen wie umtriebigen „Houdini der Vergangenheitsbewältigung“ die Freundschaft mit Hitlers Adjutanten Julius Schaub. Durch ihn wusste Schreiber vom versteckten „Nazi-Gold“ und so beginnt 1945 die spannendste Phase dieses ohnehin absolut filmreifen Lebens. Es gelingt ihm, die US-Besatzer mit diesen Gold- und Devisenschätzen zu betören.
Wobei nie geklärt werden konnte, wie viel davon es wirklich gab und inwieweit der „Schwund“ einer der Zaubertricks des gewieften Kalanag war. Immerhin misstrauten die Amerikaner ihm so sehr, dass sie ihn verfolgten statt ihn endlich als harmlosen Mitläufer zu entnazifizieren. Was ihm nach seinem Verschwinden in die britische Besatzungszone 1946 leicht gelang.
Um dann mit seiner Zauberrevue Weltruhm zu erreichen. Wobei nie geklärt wurde, wie dieser Phönix Kalanag deren pompösen Aufwand und auch später die gewaltigen Welttourneen finanzieren konnte. Und auch sonst gilt es alles über Hermann Schreiber mit Vorsicht zu genießen, weshalb der Biograf denn auch nach dem Studium der Autobiografien versichert: „Geglaubt habe ich Kalanag nur, was auch an anderer Stelle belegt wird“.
Fazit: eine so verrückte Vita, als hätte sie ein fantasievoller Narziss erfunden – und genau das war der große Kalanag.

# Malte Herwig: Der große Kalanag. Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte; 472 Seiten, div. Abb; Penguin Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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