DANIEL KEHLMANN:"F"

Arthur Friedland ist ein erfolgloser Schriftsteller, der auf Kosten seiner als Ärztin gut verdienenden Ehefrau durchs Leben schlendert und obendrein ein nicht mal mäßig guter Vater ist. Dann kommt es jedoch 1984 zu einem schicksalhaften Varieté-Besuch und der Begegnung mit einem fragwürdigen Hypnotiseur.

Seine Zwillingssöhne Eric und Iwan sowie deren etwas älterer Halbbruder Martin erleben, wie sich dieser Herr Lindemann Arthur vornimmt. Als Verstandesmenschen glauben alle Vier nicht an den Hokuspokus, mit dem der den Vater auf sein Bekenntnis hin, er sei lustloser Autor, die imperativen Sätze aufdrückt: "Von heute an bemühst du dich. Egal, was es kostet." Tatsächlich aber verschwindet Arthur noch am selben Tag mit den Abschiedsworten "Alle meine Söhne" und macht Karriere.

Die Ehefrau und vor allem die pubertierenden Söhne zahlen den Preis und vielleicht war der Beinah-Unfall, den Martin an diesem Tag hatte, schon ein schlechtes Omen nicht nur für seine Zukunft. Mit einem solch wahrhaft herzlosen Einstieg eröffnet Erfolgsautor Daniel Kehlmann seinen neuen Roman "F" und der Buchstabe scheint für mehr als nur Familie zu stehen. Ein dunkler Sog mit vielen Rätseln setzt ein und Alles steuert auf den schwülheißen 8. August 2008 als zentraler Ereignistag zu.

Die Brüder, die vom Vater nur hören, wenn er ihnen seinen jeweils neuesten ominösen - aber erfolgreichen - Roman zukommen lässt, fühlen sich auf recht verquere Weise zu Höherem berufen. Das vaterlose Aufwachsen aber hinterlässt tiefgehende Spuren in ihren Identitäten, die von Heuchelei, Selbstüberschätzung und skrupelloser Chuzpe geprägt sind. Da flüchtet sich Martin in das Amt eines katholischen Priesters, obwohl er nicht an Gott glaubt. Wenn das fettleibige fresssüchtige Muttersöhnchen dann in geistliche Gespräche verwickelt wird, flüchtet es sich in die stete Abwehrfloskel "Das ist ein Mysterium".

Am normalsten scheint sich Eric zu entwickeln, der als Anlageberater außerordentliche Erfolge feiert. Um dann doch von Dämonen verfolgt zu werden, denn in Wirklichkeit hat er in dreister Zielstrebigkeit so viele Menschen betrogen, dass er nun um Freiheit und Gesundheit zu fürchten beginnt. So erscheint schließlich die 2008 einsetzende Weltfinanzkrise ein wunderbares Alibi für die verschwundenen Gelder zu präsentieren.

Noch verquerer aber ist Iwans Karriere verlaufen, denn der homosexuelle KLünstler hätte als Maler vermutlich ein Großer werden können. Stattdessen hat er auf Lug und Trug gesetzt, indem er als Kunstkritiker ein trickreiches Spiel mit den angeblichen Meisterwerken seines älteren Geliebten treibt. Vor allem nach dessen Tod sorgt er für die benötigten, von ihm selbst gefälschten Werke, nachdem er zuvor den Kunstmarkt entsprechend neugierig gemacht hat.

Was sich hier statisch aufgereiht liest, hat Kehlmann jedoch zu einem raffinierten Konstrukt gemacht, in dem an jenem 8.8.2008 jeder der Brüder dieselben Geschehnisse als Ich-Erzähler schildert - voller Widersprüche und mit sehr eigener Wahrnehmungsweise. Allesamt erweisen sie sich als Fälscher ihrer selbst, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit schwanken und nicht verstehen, dass Exzentrik weder Charisma noch fehlendes Genie ersetzen kann.

So wie sich die drei Söhne auf komplexe Weise nicht in sich selbst zu Hause fühlen, macht das einerseits die große Raffinesse der Protagonisten aus, zugleich führt eben das aber auch zu der einen Schwäche dieses ansonsten so souverän wie sprachlich virtuos verfassten Romans: sie bleiben Kunstfiguren, mit denen man sich kaum zu identifizieren vermag. Für alle Drei jedoch erweist sich gegen Ende das große F als Symbol für nichts anderes als "Fatum", jenes Schicksal, das für keinen von ihnen die einst erträumte Großartigkeit mit sich gebracht hat. Fazit: ein anspruchsvolles Lesevergnügen, das intelligent und kühl unterhält.

 

# Daniel Kehlmann: F; 380 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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