JAN FABER: "KALTE MACHT"

Natascha Eusterbeck ist Mitte 30 und hat sich als Bundestagsabgeordnete trotz des desillusionierenden Polit-Alltags im umtriebigen Berlin noch ein gewisses Maß an Idealismus bewahrt. Gestärkt wird sie durch ihr Privatleben mit Ehemann Henrik, das sie mit dem IT-Freiberufler vor allem im alten lauschigen Haus an einem Mecklenburger See genießt.

Die attraktive Nachwuchspolitikerin steht im Mittelpunkt von "Kalte Macht", einem Politthriller von Jan Faber. Hinter diesem Pseudonym soll sich ein Autor verbergen, der über Jahrzehnte enger Berater ranghoher Politiker gewesen ist und deshalb aus intimer Kenntnis der innersten Machtkreise der Republik geschrieben hat. Wichtigster Schauplatz ist die Schaltzentrale selbst, das Bundeskanzleramt. Und der auch im Verlag anonym gebliebene Verfasser betont am Rande, dass das Alles zwar Fiktion sei, aber: "Ähnlichkeiten zu lebenden und verstorbenen Personen waren ... nicht immer vermeidbar."

Tatsächlich sind für politisch Interessierte weit mehr als nur die Kanzlerin und so manche der politischen Spitzen als eher bis zur Kenntlichkeit "abstrahiert" erkennbar. "Die Alte", wie die mächtige Regierungschefin wenig respektvoll genannt wird, sorgt gleich zu Beginn für eine Überraschung, als sie Natascha zu sich ruft, um sie zur Parlamentarischen Staatssekretärin zu machen. Als solche soll sie die komplexen Strukturen der Regierungszentrale mit dem Blick der von außen Kommenden durchleuchten und verbessern.

Der inoffizielle, wahre Auftrag aber lautet auf Spionage für die Kanzlerin: Natascha soll die heimlichen Seilschaften und Netzwerke aufdecken, die ein reges und oft genug kontroverses Ränkespiel treiben. Doch in diesem Haifischbecken des Bundeskriminalamtes kann man niemandem trauen, die Wände haben Ohren und alles und jeder wird intensiv überwacht und kontrolliert. Im Nu gehen auf Nataschas Computer erste Droh-Mails ein, es kommt zu seltsamen Vorfällen außerhalb und als besonderer Unsympath erweist sich Kanzleramtsminister Steiner (und ganz so stellt man sich auch den echten vor!).

Zu einem richtigen Thriller gehört aber auch die in diesem Fall verwegene Verschwörungstheorie, deren Mosaiksteine sich mit kurzen Einschüben allmählich aufbauen und eindeutige Parallelen aufweisen: zum Mord von 1989 an Banker Alfred Herrhausen, hier Ritter geheißen. Noch aber hechelt Natascha vermeintlichen und echten Strippenziehern hinterdrein, kommt dabei jedoch bereits einigen seit langer Zeit gehüteten Geheimnissen reichlich nah. Auf Geheiß der "Alten" bezieht sie dann auch Ehemann Henrik in ihre Untersuchungen ein. Ohne zu ahnen, dass der inzwischen anfällig für die ebenso verführerische wie mysteriöse Michelle geworden ist.

Das Intrigen-Barometer erreicht Spitzenwerte, im Kampf jeder gegen jeden hilft nur noch Ephedrin, um die mörderischen täglichen Guerillagefechte im Dauerstress durchzustehen. Im Vordergrund steht die internationale Finanzkrise, dahinter toben die Grabenkämpfe zwischen den Parteifreunden und zunehmend schält sich heraus, welch abenteuerliche Nebenkriegsschauplätze bis hinein ins Rotlichtmilieu da eine perfide Rolle spielen. Und schließlich gerät Natascha bedrohlich nah an Leichen aus den Anfangszeiten etlicher jetziger Spitzenakteure bis hin zu der verwegenen Hypothese über die wahren Hintergründe des Herrhausen-Attentats.

Mit ungeahntem Ehrgeiz enttarnen Natascha und Henrik schließlich ein Komplott, dass die Nation erschüttern könnte - und seine aufgeschreckten Hüter reagieren skrupellos. Auch ohne sportlich gestählte Top-Agenten und Super-Killer entwickelt sich das Alles zum rasanten Politthriller an einem echten und sehr plastisch ausgeleuchteten Schauplatz, der seine Faszination gerade aus der Realitätsnähe bezieht. Das fesselt auch dank der nüchternen Sprache und vieler exzellenter Dialoge.

Alles sei Fiktion, betont der Autor, und doch ahnt man, wie nahe die erfundenen Verhaltensweisen dem wirklichen Berliner Treiben kommen. Und was die Verschwörungstheorie um das Attentat angeht - wer hat denn im Westen bis 1990 geglaubt, dass Top-Terroristen der RAF mit neuen amtlichen Identitäten in der DDR eine geruhsame Auszeit nehmen konnten?! Fazit: dem Anonymus ist ein aufregender, virtuoser deutscher Polit-Thriller gelungen, den manch einer im realen Polit-Betrieb aus verständlichen Gründen wohl kaum mögen wird. Für alle Anderen aber ist "Kalte Macht" ein anspruchsvolles Lesevergnügen mit einer Fülle von Aha-Effekten.

 

# Jan Faber: Kalte Macht; 444 Seiten; Page & Turner Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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