GISA KLÖNNE: "DAS LIED DER STARE NACH DEM FROST"

Nach ihren vielgerühmten Kriminalromanen um die Kommissarin Judith Krieger legt Gisa Klönne jetzt mit "Das Lied der Stare nach dem Frost" einen großen Familienroman vor. Sie ist selbst Enkelin eines Pfarrers aus Mecklenburg-Vorpommern und Teil einer durch die deutsche Teilung getrennten Familie.

Dieser autobiographische Hintergrund fließt kenntnisreich ein in das Geschehen, in dessen Mittelpunkt die Bar-Pianistin Ricarda "Rixa" Hinrichs steht. Sie tingelt auf Kreuzfahrtschiffen durch die Welt und freut sich gerade auf einen Saison-Job auf den Seychellen, den sie mit ihrem Kollegen und Liebhaber Lorenz genießen will. Deutsche Winter meidet sie seit dem Unfalltod ihres Lieblingbruders Ivo an einem Januartag in der Nähe von Güstrow.

Die Trauer um ihn ist jedoch nur ein Grund für ihre spröde Haltung gegenüber der Heimat, denn da ist die zerfallene Familie und allen voran Mutter Dorothea. Die hat ihre Leidenschaft für die Musik derartig abgelehnt, dass Rixa diese Haltung auch mitverantwortlich dafür macht, dass sie das Examen am Konservatorium und damit eine seriöse Musikerkarriere vermasselt hat.

Und ausgerechnet jetzt, da sie einigermaßen zu sich selbst gefunden hat, holt sie ein Anruf zurück in die mit 11 Grad minus auch äußerlich kalte Heimat. Die Mutter ist gestorben, fast an derselben Stelle wie Ivo und ausgerechnet am 12. Jahrestag seines Todes - der Zweifel an einem Unfall liegt nahe, wie damals bei ihm. An ihr ist es nun, den Nachlass zu ordnen und der wirft sie weit zurück in die Erinnerungen.

Oder das, was sie dafür hält, denn manches erweist sich zusehends als trügerisch. In dem verlassenen Pfarrhaus ihrer Großeltern bei Güstrow im winterlich-melancholischen Mecklenburg stößt Rixa auf Spuren, die manches so sicher Geglaubte in Frage stellen. Wie idyllisch waren in der Kindheit die Ferien dort an den Seen mit all den Cousinen und Cousins gewesen, viel schöner als das Aufwachsen daheim in Köln mit der Mutter, die nur scheinbar stets redselig war, dabei aber um so gekonnter vieles verschwieg.

Doch welche Geheimnisse galt es zu verbergen und was steckte hinter der vermeintlichen Bevorzugung Ivos ihr gegenüber? Die Hintergründe reichen weit zurück und Dunkles liegt vor allem in den Geschehnissen in der Kriegszeit und dann bis Ende der 40er Jahre. In geschickt eingebauten Rückblenden erfahren wir aus den schweren Jahren der Großeltern Elise und Theodor, dem Pfarrer, der seine seelischen Wunden aus dem Ersten Weltkrieg nie verwunden hatte. Der Pfarrhaushalt wuchs um immer mehr zu stopfende Mäuler und als oberstes Prinzip herrschte der strenge Geist des preußischen Protestantismus. Aber Rixa muss aus einigen der wenigen übrig gebliebenen Familienfotos auch erfahren, dass der von ihr damals so geliebte Großvater ein Partei- und SA-Mitglied war. Und als dann die Russen kamen, muss es zu düsteren Geschehnissen gekommen sein, über die niemand reden will.

Mit den Erfahrungen ihrer exzellenten Krimis schafft Gisa Klönne bei diesem vielschichtigen Familienroman eine dichte Atmosphäre und erzeugt von Beginn an eine intensive Sogwirkung. Die dunklen Geheimnisse, ein hintergründiger Mutter-Tochter-Konflikt und das alles vor der eindrucksvoll beschriebenen Landschaft - das fesselt und bewegt mit präziser Sprache und manch poetischen Bildern. Fazit: ein Meisterwerk des Genres und zugleich eine einfühlsame Reflektion über den Irrsinn der noch unvergessenen Zeit der deutschen Teilung.

 

# Gisa Klönne: Das Lied der Stare nach dem Frost; 480 Seiten; Pendo Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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