ALEXIS JENNI: "DIE FRANZÖSISCHE KUNST DES KRIEGES"

Alexis Jenni erhielt für seinen gewaltigen Debütroman "Die französische Kunst des Krieges" den Prix Goncourt 2011. Mit diesem grandiosen Epos über den sogenannten Zwanzigjährigen Krieg Frankreichs entlarvt er schonungslos jene Kriege im vermeintlichen Frieden in West-Europa, der nur woanders geführt wurden.

Dramaturgisch raffiniert breitet sich das Werk über zwei Ich-Erzähler aus. Deren erster ist ein anonym bleibender Mann von etwa 40, der Anfang 1991 den ersten Golfkrieg als unwirkliches Fernsehspiel mit banal wirkenden Bildern erlebt. Dennoch wird er zu einer Art Kollateralschaden des "Desert Storms", denn in der Folge des Feldzuges mit französischer Beteiligung wird der sowieso nicht eben glanzvolle Angestellte durch Rezession und Einsparmaßnahmen arbeitslos.

Ohnehin recht labil, geht er zurück in seine Heimatstadt Lyon und schlägt sich als Zeitungsausträger durch. Wobei er Victorien Salagnon kennenlernt, einen längst pensionierten eisgrauen Legionär. Der lebt mit seiner in Algerien geborenen griechisch-jüdischen Frau Euridice zurückgezogen, gibt aber Zeichenunterricht. Der Ich-Erzähler staunt über die Meisterschaft der unzähligen Tuschezeichnungen, während der Alte ihm seine Memoirenhefte vorlegt. Und da er kein Mann geschliffener Worte ist, machen sie einen Handel: er bringtt dem Jüngeren das Zeichnen bei und der fasst die Kriegserinnerungen des Veteranen in lebendige Sätze.

Das nun wird der eigentliche Beginn des Romans, denn Salagnon hat Ungeheures aus 20 Jahren Krieg zu berichten, seit er 1942 noch als Schüler erstmals unmittelbar mit den ständig drohenden Gefahren durch die Nazi-Besatzer konfrontiert wird. Bald schon schließt er sich der Resistance an und erlebt so Grausiges im Befreiungskampf, dass er mit dem normalen bürgerlichen Leben nach dem Krieg nicht mehr zurechtkommt. Und er geht einen geradezu konsequenten Weg und lässt sich zum Berufssoldaten ausbilden.

Doch das europäische Kriegsende am 8. Mai 1945 hat auch ein folgenreiches Nebenereignis in Algier, denn bei den Siegesfeiern kommt es im französisch regierten Algerien zu einem Zwischenfall, der dank der brutalen Härte der Kolonialmacht gegen einheimische Demonstranten zum Gewaltausbruch und bald zum landesweiten Aufstand führt. Salagnon allerdings wird 1946 erstmal nach Indochina eingeschifft, damals ebenfalls noch französisch. Gemeinsam mit so manchem ehemaligen deutschen SS-Schergen in der Fremdenlegion geht es hier um die Niederschlagung der Viet-Minh (aus denen später der Vietkong wurde).

Präzise berichtet der Ich-Erzähler Salagnons Kriegserlebnisse und gerade die Nüchternheit der Schilderungen von Dschungelkampf, verbrannten Dörfern, Folterungen und unbarmherzigem Kampfgeschehen lässt schaudern. Die Unmenschlichkeit und der Irrsinn des kriegerischen Treibens findet in den gewissermaßen kommentierenden Zwischenkapiteln eine gnadenlose Analyse, während zugleich Geschehnisse aus der Jetzt-Zeit einfließen. Hier in einem der sogenannten Banlieus, der Vostädte mit ihren sozialen Brennpunkten, gibt es Aufruhr und das martialische Vorgehen der Staatsmacht ganz im Geiste von Sarkozy und Le Pen wirkt beinahe wie eine innerfranzösische Fortsetzung der Kolonialkriege.

In die Salagnon auch nach der furchtbaren Niederlage in Indochina weiter hineingerät. Der Offizier mit dem Nimbus dessen, der immer überlebt, gerät nun in Algerien in einen ungemein schmutzigen Krieg mit Bombenterror, Reihenverhaftungen, Folter und unendlichem Hass auf beiden Seiten.

Für Salagnon bedeutet Algier aber auch die Wiederbegegnung mit Euridice, die er als Tochter eines Militärarztes bereits 1944 kennen und lieben gelernt hatte. Nie hatte sie seine unzähligen Briefe beantwortet und dann geheiratet. Nun aber werden sie endlich ein Paar und ihre Befreiung aus dem brennenden Algier wird die letzte Kriegshandlung des harten erfahrenen Kriegers. Das sind Passagen voll spröder Poesie, während zugleich deutlich wird, dass der nur selten körperlich Blessierte die wirklichen Verwundungen an der Seele davontrug.

Seine Bilanz ist entsprechend bitter, doch die der Gegenwart gerade hier im Banlieu und die all der Kriege außerhalb nicht minder: "Die Kunst des Krieges ändert sich nicht."

So ist dieser packende Roman in seiner Sprachgewalt (großes Lob für die Übertragung ins Deutsche!) und mit seinen vielen unvergesslichen Szenen auch ein großartiges Pamphlet gegen Krieg und Kolonialismus, aber gleichermaßen ein Geschichtsunterricht der besonderen schonungslosen Art, der all die sonst meist nur beiläufig erwähnten grausamen Details ebenso wenig auslässt wie die kriegsbedingte Gewissenlosigkeit der Akteure. Fazit: ein ganz großes Stück Weltliteratur.

# Alexis Jenni: Die französische Kunst des Krieges (aus dem Französischen von Uli Wittmann); 766 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

 

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