J.J. VOSKUIL: "DAS BÜRO. DIREKTOR BEERTA

Einen Geniestreich der besonderen Art schuf Johann Jacobus Voskuil (1926-2008) mit seinem siebenbändigen Romanzyklus "Das Büro". In seiner niederländischen Heimat wurden die zwischen 1996 und 2000 geschriebenen 5000 Seiten zum Kult, hier jedoch hielt man das Werk für zu landestypisch, um es herauszubringen.

Zu Unrecht, wie der jetzt endlich vorliegende erste Band "Das Büro. Direktor Beerta" eindrucksvoll beweist. Im Mittelpunkt des Zyklus steht Maarten Koning, der nach einer kurzen Karriere als Lehrer ausgerechnet und nicht ganz zufällig am 1. Juli 1957, seinem Geburtstag, seinen Dienst als wissenschaftlicher Beamter an dem gänzlich unbedeutenden Institut für Volkskunde in Amsterdam antritt.

Wenn Voskuil nun bis ins Detail die acht Jahre mit dem Chef Direktor Beerta bis zu dessen Verabscheidung beschreibt, tut er dies auf der Grundlage wahrlich gründlicher Kenntnisse, denn er selbst war von 1957 bis 1987 Beamter an genau solch einem Institut. Für Koning, dessen Ehefrau Nicoliene den Gatten lieber ganz daheim hätte - er muss ihr mühsam klarmachen, dass es ohne Einkommen auf Dauer nicht geht - beginnt damit eine Art Nicht-Karriere mit solch wichtigen Forschungsthemen wie Wichtelmännern oder einer fruchtbringenden Verwendung der Nachgeburt von Stuten.

Direktor Beerta pflegt dabei seinen Führungsanspruch ebenso sinnleer wie arbeitsscheu, besitzt jedoch die ausgeprägte Gabe, die Existenzberechtigung des Instituts und noch weit mehr seiner selbst dadurch zu unterstreichen, dass er immer wieder neue Projekte erfindet, die Mittel und Stellenvermehrung einbringen. Wobei er bei der Auswahl der Bewerber untrüglich dem ehernen Verwaltungsprinzip folgt, bloß niemanden einzustellen, der geeignet oder gar karrieregeil ist.

So werden nun von den unendlich vielen Protagonisten Karteikarten angelegt, Ordner gefüllt, Befragungen vor Ort durchgeführt und Sitzungen abgehalten. Die sind mal dröge, mal feucht-fröhlich und oft genug geht nicht nur Koning dümmer raus als rein. Ohnehin zählt Leistung nichts, bezahlt wird für Anwesenheit. Aus all dem und den unzähligen mal lächerlich unspektakulären, mal skurrilen Begebenheiten im Büro und zwischen den auf Sparflamme diensttuenden Mitarbeitern entwickelt Voskuil einen hinreißened mittelmäßigen Kosmos an Abläufen und Ereignissen, wo der Begriff Ereigniss meist schon weit über das gängige Behördentempo hinausschießt.

Beerta postuliert es mit begeisterter Selbstzufriedenheit: "Die Welt ist für das Mittelmaß da!" Und es gibt keine wirkliche Bestandsgefahr, denn hier greift auch in den Niederlanden das Behördenprinzip: "Was einmal da ist, wird so schnell nicht wieder abgeschafft." Nicht nur der erfahrene Voskuil spricht hier aus eingehender Erfahrung, wer durchschnittliches deutsches Behördenleben und das insbesondere in der Verwaltung kennt, weiß, wie authentisch dies alles geschildert ist.

Der trockene Stil mit den treffsicheren Charakterzeichnungen, den von außen betrachtet oft eintönigen bis lächerlichen Ritualen des Büroalltags sowie Voskuils Ironie zwischen den Zeilen geben dieser Beamtenwelt mit ihrem immensen Wiedererkennungswert (zumindest für Menschen mit Behördenerfahrung!) eine geradezu süchtig machende Sogwirkung mit einem kräftigen Schuss Loriot in manchen Dialogen.

Fast der gesamte Roman spielt sich in diesem zuweilen irreal anmutenden Universum mit fast kafkaesken Zügen ab, mit wenig Szenen auch mal bei Maarten Koning daheim, die von mäßiger Harmonie geprägt sind. So viel Gleichmaß und Ritual und dennoch hat das Alles vermutlich nicht nur für niederländische Leser das Zeug zum Kultstatus. Schließlich muss man sich wiederholt daran erinnern, dass all diese Figuren - für die zahlreichen wichtigeren gibt es sogar ein Tableau im Anhang - keine realen Menschen sind.

Doch man ahnt, wie vieles Voskuil an realen Erlebnissen hat einfließen lassen und wer schließlich nach diesem immer wieder durchschimmernden schwarzen Humor fragt, dem sei das Datum genannt, an dem der Kultautor wegen seiner Krebskrankheit den Freitod wählte: es war der 1. Mai 2008, in diesem Jahr nicht nur Tag der Arbeit sondern auch Himmelsfahrtstag. Nun darf man gespannt sein, wie dieses sehr gediegene Meisterwerk auch deutsche Leser anspricht. Es wäre jedenfalls ein Jammer, wenn ein Misserfolg die Veröffentlichung auch der übrigen Bände behindern würde.

 

# J. J. Voskuil: Das Büro. Direktor Beerta (aus dem Niederländischen von Gerd Grube); 848 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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