BÄRBEL REETZ: "HESSES FRAUEN"

"Dann kommt wahrscheinlich meine Geliebte bald, eine Wienerin. Meine zweite Frau hat sich wieder scheiden lassen. Ich konnte nicht recht herauskriegen, warum eigentlich." Auf solch verblüffende Weise äußerte sich Hermann Hesse (1877-1962) am 31. Mai 1927 in einem Brief an einen Freund.

Durchaus entlarvend erscheint das für das sehr spezielle Verhältnis des noch heute weltweit gelesenen Literatur-Nobelpreisträgers von 1946, der in vielen Schriften als Einsiedler und Einsamkeits- wie auch Sinnsuchender stilisert wird. Die versierte Biographin Bärbel Reetz aber fragt angesichts einschlägiger Zitate, warum so wenig über Hesses Frauen bekannt ist. "Hesses Frauen" ist nun auch ihre biographische Forschungsarbeit überschrieben und ihre umfangreichen Recherchen umfassten dabei auch viele bisher unveröffentlichte Bilder und Dokumente.

Vor allem aus etlichen Briefen entsteht dabei ein recht plastisches Bild von Hesses Konflikten, Eheschließungen, Scheidungen, seinen häufig wechselnden Befindlichkeiten bis hin zu erstaunlich schroffen Urteilen über seine Partnerinnen. Der immer wieder leidende aber auch überaus hypochondrisch veranlagte Romancier betonte wiederholt, dass er nie habe heiraten wollen. Schon vor der ersten Ehe mit der neun Jahre älteren Schweizer Fotografin Maria Bernoulli schrieb er als Verlobter an seinen Cousin Paul: "Ich glaube schon, dass das Verheiratetsein Gräten haben wird, hoffe aber, damit fertig zu werden."

Als er 1924 die 20 Jahre jüngere Sängerin Ruth Wenger heiratet, geht sein Schwanken zwischen Nähe und Abstand sogar so weit, dass er eine Zweisamkeit unter einem Dach bewusst vermeidet. Nach nur zwei Jahren scheitert diese seltsame Ehe und sie schreibt ihm: "Du brauchst entweder eine sehr starke oder eine hündische Frau." Beides scheint Ninon Dolbin-Ausländer in sich zu vereinigen, denn die 18 Jahre jüngere Kunsthistorikerin verehrte ihn bereits jahrelang zuvor glühend und übernimmt mit Hingabe all das ihm so lästige Alltägliche.

Noch zögerlicher ging der mittlerweile arrivierte 54-Jährige 1931 diese Ehe an als "einen widerwilligen Akt der Ergebung". Und tatsächlich beherrscht Ninon sein äußeres Leben bis zu seinem Tod intensiv und reagiert mit Abweisung und großer Eifersucht auf Annäherungen von außen bis hin zu denen seiner Söhne aus erster Ehe und den Enkeln, mit denen das altersmilde werdende Genie wieder mehr Annäherung sucht. Doch auch Ninon zahlt einen hohen Preis an der Seite dieses extrem schwierigen Menschen mit seinen vielerlei Unpässlichkeiten bis hin zu Phasen der Depression.

Die Biographin eröffnet mit diesem "weiblichen" Blick auf Hesse manch überraschende Facetten, zugleich wird sein Bild um manches deutlicher. Es waren alles drei ungewöhnliche Frauen von hoher Eigenständigkeit und ihre Bedeutung für Hesses Leben und Werk wurde bisher in recht unangemessener Weise vernachlässigt. Verständlich wird da vor allem die Verbitterung von Ruth Wenger, die fast 50 Jahre nach der Scheidung beklagt, wie ihre Rolle in seinem Leben in allen Biographien "verschwiegen, verwischt, totgeschwiegen wurde". Wobei es die langjährige erste Ehefrau ungleich härter traf, die in Hugo Balls Biographie zu Hesses 50. Geburtstag gar wegen einer zeitweiligen psychischen Erkrankung als "Wahnsinnsfrau" denunziert wurde.

Unter all den Veröffentlichungen anlässlich des bald anstehenden 50. Todestages des genialen Schriftstellers dürfte diese ungemein lebendig und fesselnd geschriebene Biographie der besonderen Art eine unverzichtbare Ergänzung für ein wirklich rundes Bild Hermann Hesses darstellen. Wie der sich übrigens selbst in seiner Rolle als Frauenfreund und zugleich Einsamkeitssuchender sah, deutet er in einem Brief an Ehefrau Ruth an: "Vergiss auch nicht, dass ich nicht bloß ein Quälgeist und nicht bloß ein armer Schizophrener... sondern auch ein König und ein magischer Geistesfürst bin."

 

# Bärbel Reetz: Hesses Frauen; 429 Seiten, div. Abb., Klappenbroschur; Insel Verlag, Berlin; € 16,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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