PETER FARKAS: "ACHT MINUTEN"

Einen außergewöhnlichen Kurzroman hat der ungarische Autor Peter Farkas mit seinem mit dem Sandor-Marai-Preis ausgeziechneten Debüt "Acht Minuten" geschrieben. Im Mittelpunkt stehen dabei einige vermutlich letzte Tage eines alten Ehepaares, beide hochgradig dement.

Das Bewegende dabei ist die Erzählperspektive, denn alles wird aus Sicht des alten Mannes geschildert, der um eine gewisse Ordnung im Leben mit seiner Frau in der altvertrauten Wohnung kämpft. Immer wieder kommen Leute und manchmal bringen sie angeblich nützliche Gegenstände mit. Für ihn bedeutet das unnütze Mühe, wenn er die zum Müll schaffen muss. Wenn die Besucher ihm Dinge sagen, hört er höflich zu, doch die Sätze sind ohne Bedeutung für ihn und er schweigt dazu.

Jüngster Unsinn der Besucher ist das Verteilen der Ehebetten auf zwei Zimmer. Der alte Mann und seine offenbar noch stärker demente Frau reagieren konsequent - von nun an schlafen sie eben in einem Bett, schließlich ist ihre alte Liebe stärker als das Vergessen. Und ebenso faszinierend lesen sich die feinen aber wirksamen Abwehrstrategien gegen "Belästigungen" von außen.

Sie wissen ihre Namen nicht mehr und können nicht mehr sinnvoll miteinander reden, dennoch ist das ein tief selbstverständliches Verstehen und eine innige Vertrautheit. Die bringt solche Bilder von herber Idylle hervor wie das tägliche Ritual des Stündchens auf dem Balkon, wenn sie dann dick eingemummelt eng beieinander sitzend eingeschlummert sind und der rieselnde Schnee sie allmählich bedeckt. Zugleich erlebt der alte Mann hilflos den fortschreitenden körperlichen Verfall, wie ohnehin die Körperlichkeit einen immer größeren Teil des Tages- und Nachtablaufs bestimmt.

Dennoch gelingen ihm Akte von Würde, bei denen noch so gut gemeinte Einmischungen von dritter Seite Katastrophen auslösen können. Dabei gibt es Szenen von liebevollen Gesten, die schlicht anrührend sind, wenn der alte Mann zum Beispiel über Nacht Pflaumenmus für seine Frau kocht. Die Reduzierung aber schreitet täglich fort und es gehört zu den wenigen Glücksmomenten, einfach nur im Sonnenschein vor sich hin zu dösen oder für die Frau, Tierfilme im Fernsehen anzusehen.

Da ist kein wirkliches Erfassen mehr, längst haben sie sich ganz auf sich selbst zurückgezogen, wo ein Ich keine Bedeutung mehr hat und alles nur noch im unmittelbaren Augenblick abläuft. Ein Vorher und ein Nachher gibt es nicht mehr und für Andere sind sie gar nicht mehr zu erreichen. Die Demenz lässt das Denken ins Nichts schwinden und dennoch sind sie nicht nur alte, hinfällige Menschen - sie sind immer noch ein Paar.

Mit beinah schmerzlicher Präzision führt der Autor den Leser ganz dicht an das Sein und das Empfinden dieser Beiden heran und eröffnet einen beklemmenden Blick in eine schwer verständliche Welt, die doch immer mehr Zeitgenossen unaufhaltsam in ihren unumkehrbaren Bann zieht. Fazit: ein zutiefst menschlicher kleiner Roman um ein höchst aktuelles Thema, der das Verstehen ein wenig leichter macht. Ein Lob gebührt im Übrigen György Buda für seine ebenso sensible wie sprachlich hochklassige Übersetzung.

 

# Peter Farkas: Acht Minuten (aus dem Ungarischen von György Buda); 133 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, MÜnchen; € 16,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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