GUDRUN EVA MINERVUDOTTIR: "DER SCHÖPFER"

Sein Kunststudium hat Sveinn zwar abgebrochen, ein wahrer Künstler ist der abgearbeitete 40-Jährige dennoch geworden: als Puppenmacher, denn seine für allerlei erotischen Zwecke geeigneten Puppen sind wegen ihrer Lebensechtheit sehr begehrt und er feilt ständig an der weiteren Perfektionierung. Mit lebendigen Menschen hat der abseits von Reykjavik hausende Eigenbrötler dagegen wenig im Sinn.

Wie ausgerechnet eine sehr lebensechte Frau sein Leben wie auch ihr eigenes aus der gewohnten Bahn wirft, daraus hat die renommierte isländische Autorin Gudrun Eva Minervudottir mit ihrem Roman "Der Schöpfer" eine fesselnde Tragikomödie gemacht. Die recht chaotische alleinerziehende Mutter zweier Töchter hat vor Sveinns Haus eine Autopanne. Er hilft ihr und lässt sich sogar so weit treiben, dass er ihr - ohne jeden Hintergedanken - etwas zu essen und Rotwein anbietet. Ebenso abgearbeitet wie er, schläft sie bald im Sessel ein und er zieht sich zurück.

Als diese Loa jedoch frühmorgens das Bad sucht, stößt sie auf seine Werkstatt mit einer Reihe noch unfertiger aufgehängter Puppen. Da ist aber auch eine Versandkiste mit einem fertigen Exemplar einer Schwarzhaarigen vom Typ "Lovely" und sofort schießt Loa ein Gedanke durch den Kopf - solch eine Puppe könnte womöglich ihre Tochter Margret retten. Das Mädchen ist psychisch und physisch schwer gestört und droht sogar an Auszehrung zu sterben. Vielleicht könnte eine solche lebensechte Puppe als stille passive Freundin ihre Körperablehnung überwinden?!

So schleppt sie "Lovely" fort und Sveinn ist fassungslos über den Diebstahl. Und hat einen Verdacht, denn er wird wegen der Sexpuppen seit kurzem anonym bedroht. Deshalb macht er sich auf die Suche nach Loa, die derweil hektisch versucht, mit der kranken wie auch mit der kleineren, sehr quirligen Tochter klarzukommen.

Wie Sveinn und Loa nun in eine von beiden gänzlich ungewollte Beziehung miteinander geraten, ist ein wahrer Kampf zweier Menschen, die einsam sind und von arg gebrochenem Verhältnis zu jeder Art Geselligkeit geprägt. So viele Probleme haben sie mit sich selbst und dann noch mehr mit dem Gegenüber, dass man nur ahnen kann, ob daraus wirklich Liebe werden könnte. Seine vorzügliche Dynamik erhält dieser von herbem, zuweilen grantigem Humor durchzogene Roman durch die zwischen Sveinn und Loa wechselnden Sichtweisen der Ereignisse.

"Der Schöpfer" eröffnet mit seinen in sich gekehrten, knorrigen Protagonisten zugleich einen offensichtlich recht authentischen Blick in die isländische Gegenwart, denn nicht umsonst zählt Minervudottir zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren ihres Landes.

 

# Gudrun Eva Minervudottir: Der Schöpfer (aus dem Isländischen von Tina Flecken); 304 Seiten; btb Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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