ALON HILU: "DAS HAUS DER RAJANIS"

Als Alon Hilu 2009 seinen außergewöhnlichen Roman "Das Haus der Rajanis" vorlegte, sorgte er für Furore in Israel. Das grandiose Werk wurde mit dem angesehenen "Sapir Prize for Literature" ausgezeichnet und - schon am nächsten Tag wurde Hilu der Preis wieder aberkannt.

Der Grund: der junge Autor hatte bei der Preisverleihung offenbart, dass die Geschichte von der "Nak'ba" handle, dieses palästinensische Unwort bezeichnet jenes aus arabischer Sicht große Unglück, als die Juden nach Palästina zurückkehrten und ihre Landnahme zu Enteignung und Vertreibung der Araber führte. Eine Sichtweise, die sich nicht verträgt mit der offiziell geltenden zionistischen Geschichtsauffassung.

Hilu hat den orientalisch bildreich und geradezu altbacken in der Wortwahl geschriebenen Roman als raffinierte Quellenfiktion angelegt, die auf zwei angeblich im Archiv gefundenen Tagebüchern beruht. Alles beginnt im August 1895, als der junge Agronom Isaac Luminsky aus Polen im Hafen von Jaffa ankommt. Voller Erwartungen und begleitet von seiner frisch angetrauten Ehefrau Esther, einer Schönheit, die Zahnmedizin studiert hat, und Luminsky ein herbes Problem beschert: immer wieder zeigt sie ihm ihre Reize, erweist sich jedoch als frigide und verweigert sich ihm fast völlig.

Doch auch sonst ist die Enttäuschung groß, denn das angebotene Land für die Siedler erscheint gänzlich unbrauchbar und das wirklich fruchtbare wird von den einheimischen Arabern bewirtschaftet. Im Übrigen gilt jedwede Integration als unerwünscht. In diesem Frust begegnet Luminsky auf einem Markt dem zwölfjährigen Salach Rajani, einem linkisch und melancholisch wirkenden Jungen. Dessen schöne Mutter erwidert Luminskys Gruß und verschwindet mit dem Kleinen.

Um so überraschender kommt dann Tage später ein kurzer Brief dieser Afifa Rajani, die ihn einem Wunsch des Sohnes folgend auf ihr Landgut einlädt. Dort erblüht eine erstaunliche Freundschaft zwischen dem gebildeten Juden und dem ebenso verstörten wie fantasiebegabten Jungen, der als Einzelkind und infolge des ständigen Alleinseins - der alte kränkliche Vater befindet sich dauernd auf Reisen - unter Einsamkeit und schweren Depressionen leidet. Aus Salachs Tagebuchaufzeichnungen wie auch Ausflügen in eine Art romantischer Romanidee kommt nun eine sehr andere Perspektive derselben Ereignisse zum Tragen, gleichfalls in dieser etwas seltsamen Sprache, die aber bald einen besonderen authentischen Charme entwickelt.

Der ausgehungerte Luminsky jedoch betört nun auch die schöne Afifa, die sich diesen Avancen dankbar hingibt. Luminsky dehnt sein Begehren allerdings sehr bald schon auch auf das vorzügliche Land der Rajanis aus. Während er für Salach der "gute Engel" im bisher so tristen Leben ist, treibt er die Pachtbauern mit fester Hand zu besseren Leistungen an. Lange aber geht dieses Arrangement nicht gut, denn der Hausherr kehrt heim und hat offenbar böse Ahnungen.

Um so heftiger schlagen Salachs Empfindungen in Hass auf den vermeintlichen Verräter um, als der Vater unversehens stirbt und die Witwe in eine von schlechtem Gewissen geplagte Trauer verfällt. Während die kalte Esther Luminsky weiterhin kujoniert, aber auch als Zahnärztin für die arabische Bevölkerung gut verdient, gelingt ihm die Wiederaufnahme der Liebesbeziehung zu Afifa. Und er verfolgt konsequent sein Ziel, die Pachtbauern auf dem Gut durch jüdische Einwanderer zu ersetzen und endlich Herr über fruchtbares Land zu werden.

Diese Art aggressier Landnahme durch zionistische Siedler aus Europa so dazustellen, widerspricht der streng gewahrten 'political correctness' Israels und die Relativierung der Schilderungen Luminskys durch die andere Perspektive Salachs bis hin zu dessen - durchaus nachempfindbarer - Enttäuschung und Wut bedeuten eine klare Provokation. Zugleich versucht der Roman eine Objektivierung dessen, was sich damals um 1900 bereits unglücklich entwickelte und nicht die Alleinschuld einer Seite trägt.

Salach in seinem hilflosen, wahnhaften Aufbegehren beschwört sogar eine düstere Zukunft herauf: "Wenn die Völker Europas die Juden abschlachten, wird eine Welle von Juden kommen, um uns abzuschlachten und zu vertreiben." Mag das aus dieser frühen Sicht auch überzogen sein, so verhehlt der ungeschminkte Blick Alon Hilus doch nicht das Überlegensheitsdenken Luminskys und den Dünkel Esthers gegenüber den Einheimischen.

Fazit: eine faszinierende Verflechtung der unheilvollen Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern wie auch die Darlegung ihrer typischen Charakterzüge ist dem Autor hier gelungen. Zugleich besticht der Stil mit seiner Metaphorik und eigenartigen Melodie und auch die erotischen Passagen überzeugen in diesem ebenso wichtigen wie meisterhaft komponierten Roman mit seiner eigentlichen inneren Spannung.

 

# Alon Hilu: Das Haus der Rajanis (aus dem Hebräischen von Markus Lemke); 355 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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