MATT HAIG: "DIE RADLEYS"

Wer all die Vampir-Romane jedweder Provenienz reichlich satt oder sowieso noch nie gelesen hat, der sollte sich einmal an "Die Radleys" heranwagen - er wird diesen ungewöhnlichen und höchst vergnüglichen Roman von Matt Haig garantiert bis zum Schluss nicht wieder aus der Hand legen.

Die Radleys sind eine fast ganz normale englische Familie mit den pubertierenden Kindern Rowan und Clara. Vater Peter ist Arzt im Städtchen Bishopthorpe, Mutter Helen ist etwas bieder, hat ständig Kopfschmerzen und will keinen Sex mehr. Weshalb Peter Radley ernsthaft ans Fremdgehen denkt. Sohn Rowan erweist sich als ein romantisches Weichei mit entsprechenden Schulproblemen, während Clara seit neuestem als Veganerin lebt und nun ständig ihr Essen ausspuckt.

Auffällig sind lediglich einige Eigenarten, von denen aber selbst die Nachbarn und Freunde nichts ahnen. So benötigen alle Vier Sonnenschutzfaktor 60 und haben trotzdem Hautausschläge, sie leiden unter nächtlicher Schlaflosigkeit und Tiere geraten bei ihrer Annäherung in Panik. So weit, so gut, bis Clara auf einer Freiluftparty mal wieder zum Speien übel ist und der bullig-bräsige Harper sie trotzdem rabiat vernaschen will. Unversehens bricht eine nie gekannte Anwallung in dem Teenager auf und sie beißt Harper tot, ergötzt sich sogar an seinem Blut.

Und nun müssen die entsetzten Eltern mit der Wahrheit herausrücken: sie sind Vampire, alle Vier! Allerdings haben die Eltern seit vielen Jahren abstinent gelebt und die Kinder ahnten von nichts. Um so fataler war Claras Versuch als Veganerin, wo das Fehlen der Ersatzdroge Fleisch irgendwann unweigerlich zum "ÜBD-Syndrom" führen musste, also zu "Überwältigendem Blutdurst". Wohin nun aber mit der Leiche?!

Familienvater Peter macht alle noch viel schlimmer, als er ausgerechnet seinen lange gemiedenen Bruder Will zur Hilfe ruft, denn der hat als permanent praktizierender Blutsauger nicht nur eine ebenso rücksichtslose wie charismatische Auftretensweise, er findet vor allem junge Frauen schlichtweg - zum Anbeißen...

So lange haben Peter und Helen auch dank des "Handbuchs für Abstinenzler" ihre Sucht im Griff gehabt, nun bringt der böse Verführer Will alles ins Rutschen und alte Gelüste und Genüsse feiern fröhlich-gefährliche Urständ. Wenn dann die Vampire sogar fliegen gehen, ist auch das nichts wirklich Außergewöhnliches: "Schwerkraft ist auch nur ein Gesetz, das man brechen kann."

Ob die Radleys das Alles nun auch ungestraft tun können, sei nicht verraten von diesem leichtfüßigen intelligenten Roman, der bei aller Spinnerei auch eine hinreißende satirische Ader hat. Sind Vampire in der Regel Ausnahmefiguren von zumeist boshaftem, arrogantem Narzissmus, besticht hier gerade der Versuch der Radleys, in der Durchschnittsbürgerlichkeit eine Tarnung zu finden. Und dass das auch 17 Jahre lang gut geht. Zum kauzigen Lesevergnügen trägt im Übrigen im Anhang ein hilfreiches "Glossar für Abstinenzler" bei.

 

# Matt Haig: Die Radleys (aus dem Englischen von Friederike Levin); 429 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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