SERGIO BIZZIO: „STILLE WUT"

Sergio Bizzio ist Drehbuchautor, Filmregisseur und einer der renommiertesten Romanciers Argentiniens. Nun liegt sein preisgekrönter Roman „Stille Wut" vor, der die Geschichte vom Bauarbeiter José Maria erzählt, der sich in der luxuriösen Villa in Buenos Aires versteckt, in der auch seine Freundin Rosa arbeitet. Doch weder sie noch sonst jemand bekommt mit, dass er dort in einem leerstehenden oberen Geschoss haust.

Schon der Einstieg ist von einer latenten Spannung überlagert, als der 40-Jährige die hübsche Hausangestellte der Oberschichtfamilie im Supermarkt kennenlernt. Schnell werden sie ein Paar und er erlebt innige Samstagnachmittage im Hotel mit der 15 Jahre jüngeren einfachen Frau. Zugleich kommt es zu Anfeindungen in dem vornehmen Viertel, in dem Maria zwar auf dem Bau arbeitet, ansonsten aber durch seine reine Erscheinung Argwohn erregt. Obendrein ist Maria gewohnt, auf Gewalt mit harter Gegenwehr zu reagieren.

Um endlich mehr als nur teure Hotelstunden mit Rosa genießen zu können, nutzen die Beiden die Abwesenheit von Rosas Herrschaften und er bleibt trotz ausdrücklichen Verbots über Nacht bei ihr in der Villa. Doch das Glück ist gegen sie, denn die Eigentümer kehren überraschend vor der Zeit zurück. Maria aber versteckt sich – ohne Rosas Wissen – kurz entschlossen in einem ungenutzten Trakt des labyrinthähnlichen Hauses. Es gelingt ihm, sich unbemerkt einzunisten, sich sogar aus der großzügigen Küche der Familie zu beköstigen. Mit Rosa hält er für geraume Zeit noch telefonischen Kontakt.

So werden aus Tagen des Versteckens Wochen, Monate und schließlich sogar Jahre. Erst allmählich schält sich heraus, warum sich Maria auf diese seltsame Art der Isolation einlässt: eine krasse Demütigung durch seinen rabiaten Vorarbeiter hatte er eines Tages kühl mit dessen Totschlag gerächt. Das eigentlich Faszinierende am weiteren Leben Marias ist jedoch, wie er zu einem Gespenst wird, das sich nach der so nahen, ihn liebenden Rosa verzehrt und doch nicht wagt, sich zu offenbaren.

Es sind obsessive Sehnsüchte und ständig beobachtet er sie, wird Zeuge intimster Momente Rosas, in denen er flirrende erotische Fantasien durchlebt, oft nur durch eine Tür von ihr getrennt. Und es folgen Zeugenschaften, die seine Seele kochen lassen, wenn Rosa gedemüigt und sogar vom verwöhnten Sohn des Hauses missbraucht wird. Es kommt der Augenblick, da Maria die Ausweglosigkeit seiner Wut durchbricht und Rache übt. Auch hier kommt es zu packenden, teils skurrilen Szenen, während sich reales Leben und Wachträume Marias immer mehr vermengen.

Das Alles steuert eines Tages auf ein tragisches Finale zu und hat bis dahin längst eine ganz und gar fesselnde Dynamik entwickelt. Vielleicht beschreibt dieser Roman aus dem Jahr 2004 ja auch den inneren Zustand Argentiniens, gewiss aber erzählt Sergio Bizzio die Geschichte eines geisterhaften Lebens mit knappen Sätzen, schnell entworfenen einprägsamen Szenen und großem Sprachzauber schlicht meisterhaft.

 

# Sergio Bizzio: Stille Wut (aus dem Spanischen von Sabine Giersberg); 238 Seiten; DVA, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 735 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de