JÜRGEN PETER SCHMIED: „SEBASTIAN HAFFNER"

Sebastian Haffner (1907-1999) war einer der herausragendsten und einflussreichsten Publizisten des 20. Jahrhunderts. Seinen ungewöhnlichen Gaben als brillanter Stilist, Rhetoriker und Analytiker standen ein ausgeprägter Hang zur scharfzüngigen Polemik ebenso gegenüber wie eine in der Gesamtsicht oft schwer fassbare Neigung zum Wechsel von Grundüberzeugungen.

Wie sehr all diese Widersprüche sich durch das gesamte Leben und Wirken dieses bei persönlichen Begegnungen umgehend faszinierenden Intellektuellen mit der sehr britischen Attitüde zogen, macht Jürgen Peter Schmied in der umfassendsten Biographie, die es zu dem gebürtigen Berliner mit dem britischen Pass bisher gab, eindrucksvoll deutlich. „Sebastian Haffner. Eine Biographie" ist als gekürzte Fassung einer Dissertation des Autors an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn herausgekommen.

Schmied hatte nicht nur Zugang zu Haffners Schriften aus über 50 Jahren sondern auch zu seinen Tagebüchern und zu dem umfangreichen, noch ungeordneten Nachlass im Bundesarchiv. Hinzu kamen bei der exzellenten Recherche zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen sowie mit Haffners Kindern. Aus einer Familie des Berliner Bildungsbürgertums stammend, stieß Haffner der aufkommende Nationalsozialismus schon wegen des primitiven Auftretens ab und als damals noch leiser Streiter gegen Hierarchien und Autoritäten entzog er sich der Vereinnahmung nach der Promotion zum Dr. Jur., indem er sich erst „weichen" Themen der Kultur widmete und dann zum Ullstein-Verlag wechselte.

1938 emigrierte er schließlich nach England, wobei ein wesentlicher Grund seine schwangere jüdische Verlobte war, der er damit folgte. Schmied überschreibt das, was bald einsetzte, mit „Rasante Karriere", denn Haffner – damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Raimund Pretzel – begann zu schreiben. Der „Geschichte eines Deutschen", die erst posthum ein Erfolg wurde, folgte 1940 mit „Germany: Jekyll and Hyde" die scharfsinnige Analyse der Deutschen und des Nazi-Regimes. Um seine Familie nicht zu gefährden, legte er sich dafür nun das Pseudonym zu.

Und dem äußerst Sprachbegabten gelang eine hochkarätige Karriere als Journalist, die von seinem ausgeprägten Talent profitierte, auch kompelxe Zusammenhänge anspruchsvoll und zugleich leicht verständlich in Worte kleiden zu können. Erst 1954 kehrte Haffner nach Berlin zurück, jetzt als Auslandskorrespondent. Ab 1960 beginnt dann endgültig sein wechselhaftes Wirken als einer der wichtigsten deutschsprachigen Journalisten – noch als bürgerlich-liberaler Konservativer u.a. für die Springer-Presse.

Eine Art Erweckungserlebnis wurde jedoch 1962 die SPIEGEL-Affäre, die ihn pro Pressefreiheit gegen die Staatsmacht aufbrachte. Wie sein Weg zu „stern" und „Konkret" führte, so wurde er zeitweilig auch zum Verehrer von Mao und Dutschke und zum Unterstützer der APO. Er kämpfte mit Alice Schwarzer für die Abschaffung des Paragraphen 218 und förderte insbesondere mit seinen messerscharf und gern polemischen Kolumnen den politischen Wechsel zur sozialliberalen Koaliton und deren Entspannungspolitik. Das Alles mit großer Öffentlichkeitswirkung, dabei oft provokant, ohne sich auf Dauer festlegen oder gar vereinnahmen zu lassen.

Unabhängig von einer Art Rechtsruck Haffners im politischen Denken folgte 1978 sein größter Erfolg überhaupt, der vielgerühmte Bestseller „Anmerkungen zu Hitler". Historiker ließen ihren Neid auf den Außernseiter spüren, der so viel eingängiger als sie das Phänomen Hitler zu erklären verstand. Zugleich blieb Haffner ein Phänomen in seiner Widersprüchlichkeit, als er sich zum Beispiel zum antikommunistischen Hardliner wandelte, was durchaus den Eindruck des Opportunismus nährte.

Manches vermag auch Biograf Schmied trotz intensiver Einblicke in Haffners Schaffen nicht zu erklären und so subsumiert er es als Wandlungen, die weniger auf Grundüberzeugungen beruhten, stattdessen von emotionalen Befindlichkeiten und taktischen Erwägungen geprägt waren.

Geschrieben ist das sehr detaillierte und fundierte Werk in einem Stil, der dem Sprachmagier Haffner angemessen ist, und wenn es einen Minuspunkt in der ansonsten hervorragenden Biographie gibt, dann ist es der reichlich knapp gehaltene Teil des Privatlebens. Hier wären ausführlichere Schilderungen möglich und wünschenswert gewesen. Ansonsten aber kann man diese Biographie als glänzend bezeichnen. Was in dem wunderbar treffenden Resümmee gipfelt: „Sebastian Haffner war ein begnadeter intellektueller Akrobat."

 

# Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner. Eine Biographie; 683 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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