PHILIP KERR: „DIE ADLON-VERSCHWÖRUNG"

Viel haben Sam Spade, Philip Marlowe und Bernie Gunther gemeinsam, unverwüstlich sind sie, clever, zynisch und irgendwie dunkel melancholisch. Gunther jedoch, der Berliner Ex-Kriminalbeamte, hat neben den üblichen gefährlichen Gegnern auch noch ständig die Nazis zu fürchten, die eben dabei sind, nach dem brutalen Röhm-Putsch vom Sommer 1934 ihre Macht im Deutschen Reich endgültig zu festigen.

Das ist die Ausgangslage zum Einstieg in Philip Kerrs neuen Roman um den ebenso eigensinnigen wie – fast – unbeugsamen Privatdetektiv, der nun als Hoteldetektiv arbeitet. „Die Adlon-Verschwörung" lautet der Titel dieses Thrillers, denn in diesem Luxushotel am Brandenbruger Tor tummeln sich die Akteure und alle haben sie mit einem Großereignis zu tun, den Olympischen Spielen von 1936, die zu Hitlers großem Triumph werden sollen.

Die größte Sorge der Nazis ist der drohende Boycott der USA, denn reichswert werden nicht nur die demokratischen Rechte reihenweise abgeschafft, der jüdischen Bevölkerung werden immer mehr die Existenzgrundlagen entzogen und an den Spielen sollen sie sowieso nicht teilnehmen dürfen. Während die Nazi-Größen den IOC-Präsidenten Avery Brundage (den echten!) umgarnen und mit einem Riesenauftrag für seine Baufirma, den Bau der neuen deutschen Botschaft in Washington, locken, arbeitet Noreen Charalambides mit allen Mitteln daran, den Boycott zu untermauern.

Die junge, schöne Journalistin einer großen US-Zeitung ist selbst Jüdin. Und es gelingt ihr, Gunther so für sich einzunehmen, dass er ihr wichtige Einblicke vermittelt. Dass sie sich dabei auch menschlich sehr nahe kommen, wird ihm dabei fast so gefährlich wie die Entdeckungen, die er im „Adlon" macht, als dort ein Gast unter etwas seltsamen Umständen versirbt. Er war Eigentümer einer wichtigen Lieferfirma für den Bau des Olympia-Stadions, an dem sich ausschließlich deutsche Firmen beteiligen dürfen.

Welch dubiose Rolle ein anderer, umtriebiger Hotelgast derweil spielt, wird zu einem höchst gefährlichen Katz-und-Maus-Spiel mit weitreichenden Folgen, denn dieser Max Reles ist von Herkunft ungarischer Jude, nun aber undurchsichtiger Industrieller mit Mafia-Hintergrund, amerikanischem Pass und beseelt von dem skrupellosen Willen, an dem olympischen Millionen-Segen zu partizipieren. Dass nun viel Schmutz aufgewühlt und gleich wieder überdeckt wird, während der ein oder andere nicht ganz so natürlich oder zufällig stirbt, wie es scheint, liegt auf der Hand.

So zynisch, wie SS und Gestapo ihre Krakenarme unaufhaltsam ausstrecken, so heimtückisch verlaufen auch die Winkelzüge, die dafür sorgen, dass Olympia 1936 trotz aller Widerstände zu dem bekannten Triumph für Hitlers Regime wird. Dabei fesselt außer der erneut exzellent entwickelten Handlung auch das bestens recherchierte Zeit- und Lokalkolorit, bei dem subtil einfließt, wie raffiniert und rücksichtslos die Nazis das gesamte Staatssystem von innen aushöhlen.

Doch die jüngst mit dem höchstdotierten Preis für Kriminalromane, dem spanischen RBA, ausgezeichnete Geschichte ist damit noch längst nicht beendet. Vielmehr macht Philip Kerr nun einen überzeugenden Sprung von 20 Jahren und Gunther lebt jetzt als Carlos Hausner im lasterhaften Havanna von Diktator Batista. Der Krieg hat ihn wüst durchgeschüttelt und viele Narben hinterlassen, doch aus seinem Exil in Argentinien musste er flüchten, weil die Peronisten entdeckten, dass er in Wirklichkeit kein Nazi-Kriegsverbrecher war.

Auf Kuba im Jahre 1954 begegnet er Noreen wieder, die hier als erfolgreiche Schriftstellerin mit ihrer ungebärdigen 19-jährigen Tochter im Haus von Ernest Hemingway lebt. Unversehens gerät Gunther in die Verwicklungen der wahren Herren Kubas – Führungsfiguren der US-Mafia wie Meyer Lansky. Und Max Reles! Aus ist es mit Gunthers Hoffnung auf ein geruhsameres Leben und sogar einen aussichtsreichen Job in der alten Heimat, stattdessen hat er im Handumdrehen mit Mord, Intrigen und ersten Erschütterungen durch Castros Revolutionsbewegung zu schaffen.

Kerr brilliert einmal mehr mit dieser Verknüpfung von ungeheuer spannender Krimihandlung und realem historischem Hintergrund. Wenn Ich-Erzähler Gunther dann nur mit sehr eigenen und oft wenig legalen Methoden überlebt, bleibt er gleichwohl durchgehend sympathisch. Dafür sorgen allerdings nicht zuletzt dieser zuweilen grimmige Humor und der trockene Sarkasmus, die wunderbar an Chandler erinnern und ein Krimi-Vergnügen von Weltklasse krönen.

 

# Philip Kerr: Die Adlon-Verschwörung (aus dem Englischen von Axel Merz); 573 Seiten; Wunderlich Verlag, Reinbek; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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