TRISTAN EGOLF: „KORNWOLF"

Tristan Egolf galt als ein kommendes Genie unter den jungen US-Autoren, als er im Jahr 2000 mit gerade 29 Jahren den grandiosen Debütroman „Monument für John Kaltenbrunner" vorlegte. Leider ging er schon fünf Jahre später in den Freitod, dabei hinterließ er mit seinem dritten Roman „Kornwolf" ein Stück Literatur, das sich mit tobender Kraft der dunklen Seite des Kleinstadtlebens widmet und dem atemlosen Leser die Frage vor die Füße wirft: In wem nimmt das Böse Gestalt an – in einem vermeintlichen Monster oder in den Menschen, die Jagd darauf machen?

Egolf greift dafür auf den alten Mythos des Werwolfs zurück, hier Kornwolf geheißen. Das abgenutzte Thema stellt er so raffiniert in den Kontext des ländlichen Lebens in Pennsylvania mit einer dumpfen Spießbürgergesellschaft, an deren Rand eine Kolonie der Amish-People ihr rückständiges, streng religiöses Sektenleben lebt, dass es zu ungeahnter Klasse wiederaufersteht. In dieses Städtchen Stepford kehrt der verkrachte Journalist Owen Brynmor zurück. Er will Boxer werden, zum Broterwerb aber heuert er als Lokalreporter an.

Und er führt sich in der ihm seit früher schon verhassten Heimatstadt mit einer abstrusen aber aufsehenerregenden Geschichte ein über einen Werwolf, den vermeintlichen „Teufel von Blue Ball". Doch der Zyniker hat nicht mit der Welle von ausrastender öffentlicher Wut gerechnet, die er damit lostritt. Die entzündet sich an Ephraim Bontrager, dem stummen Sohn eines strengen Predigers der grundsätzlich sehr ordentlichen und friedfertigen Amish-Gemeinschaft. Der gewalttätige Alte aber hat den Halbwaisen so malträtiert, dass dieser ein äußerst seltsames Verhalten an den Tag legt. In den Nächten jedoch verwandelt er sich angeblich ogar in einen blutrünstigen Werwolf.

In berserkerhaften Szenen schaukeln sich nun die Gegensätze auf und obwohl Egolf kreuz und quer und mit Abschweifungen schreibt, entwickelt sich eine schnelle Geschichte. Die ist gleichwohl so dicht und berstend vor Kraft, Biss und archaischer Gewalt geschrieben, dass der Leser zum langsamen, gründlichen Lesen gezwungen wird, um den ganzen funkelnden Furor zu erfassen. Der gipfelt in einem wahnwitzigen Taumelfinale am Halloween-Tag, das jedem hochkarätigem Actionfilm noch Glanzlichter aufsetzen würde.

Das Alles ist provokant, unbändig in seiner brachialen Sprachgewalt und voller ätzender Gesellschaftskritik, wo denn auch Underdog Ephraim ausgerechnet aussieht wie Richard Nixon. Trotz der brillanten Sprache und manch tiefschwarzem Humor ist dieser Roman nichts für Zartbesaitete oder Ästheten, ein außergewöhnliches Stück meisterhafter Erzählkunst mit bitterster Satire ist es gleichwohl. Zu der hohen Qualität der deutschen Ausgabe trägt im Übrigen die kongeniale Übersetzung Frank Heiberts wesentlich bei, zumal er mit den Passagen des alten Pfälzerdeitschs der Amishen den Gegensatz zwischen diesen und „den Englischen" faszinierend ausleuchtet.

 

# Tristan Egolf: Kornwolf (aus dem Amerikanischen von Frank Heibert); 431 Seiten; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; 26,80

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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