MARK MAZOWER: „HITLERS IMPERIUM"

Schon in dem während seiner Festungshaft niedergeschriebenen Buch „Mein Kampf" hatte Adolf Hitler seine Vision vom Lebensraum im Osten für das deutsche Volk umrissen. Zu Beginn des Russlandfeldzuges war es dann sein Bruder im Geiste, der SS-Chef Heinrich Himmler, der mit seinem Generalplan Ost konzipiert hatte, welch ein rassereines Reich deutscher Volksgenossen von der Atlantikküste bis weit in Richtung Ural das 'Tausendjährige Reich' werden sollte.

Wie die konkreten Pläne dieser neuen Ordnung Europas aussahen und wie sich dieses Riesenreich in der Realität gestaltete, das hat der vielfach preisgekrönte britische Historiker Mark Mazower in seinem großen Werk „Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus" ebenso faktenreich wie detailliert aufgeschlüsselt. Deutlich wird dabei, wie wenig Hitler ein echtes unter seiner Herrschaft vereinigtes Europa anstrebte, vielmehr folgte den noch primitiven Forderungen aus der „Mein Kampf"-Zeit der Wahntraum eines Großgermanischen Reichs, das als autarke Weltmacht sämtliche westlichen wie auch die sonstigen Nachbarn gleichsam den primitiven Völkern in fernen Kolonien unter seinem Joch hatte.

Wie gerade diese martialische und nur auf Unterdrückung und Ausbeutung ausgerichtete Eroberungsstrategie zwar bis 1942 ein gewaltiges Reich größer als die USA und mit einer ungeheuren Wirtschaftskraft zusammenraubte und dennoch von der eigenen Ideologie her zum Scheitern verurteilt war, beschreibt Mazower mit einer Vielzahl überzeugender Beispiele. So ließ es der fanatische Herrendünkel nicht zu, die 'verwandten Nachbarn' im Westen als Partner zu akzeptieren und der Rassenwahn Hitlers beharrte sogar gegen die Vorstellungen seines Chefideologen Arthur Rosenberg auf der Unterdrückung und Vernichtung der slawischen Völker.

Bereits konzeptionell wäre solch ein Großgermanischen Reich illusorisch geblieben, denn es hätten allein schon die personellen Resourcen gefehlt, sei es für die landwirtschaftliche und industrielle Produktion, sei es für eine arbeitsfähige Verwaltung. Doch die Neuordnung scheiterte schon im Ansatz an einer kaum zu fassenden Unordnung, die den unerlässlichen Anforderungen bei Aufbau und Organisation eines Imperiums in völliger Verkennung der ökonomischen und politischen Notwendigkeiten dafür diametral entgegenstand. Das totale Versagen wird so unter anderem in der Struktur einer ineffizienten Bürokratie und einem unglaublichen Ausmaß an Korruption nachgewiesen, wo allenfalls die Verwaltung der Judenvernichtung und des SS-Repressionsapparates funktionierten.

Wie sehr der Raub- und Rassenkrieg aber auch die eklatante politische Unfähigkeit der maßgeblichen Köpfe des Nazi-Reichs und ihres ausführenden Personals vor Ort die Gestaltung eines imperialen Systems – man denke an das Römische Reich oder die Statthalter-Politik Alexander des Großen - schon im Ansatz unmöglich machte, demonstriert der Autor unter anderem am Beispiel der Ukraine und des ebenso fanatischen wie primitiven Reichskommissars Erich Koch. Hatten die Ukrainer die Wehrmacht noch als Befreier vom stalinistischen Joch begrüßt, wurde ihre pro-deutsche Stimmung nicht etwa zur Herrschaftssicherung durch Kooperation genutzt, sondern derartig im Sinne der Hitlerschen Untermen-schen-Ideologie unterdrückt und geknebelt, dass weite Teile der Bevölkerung zu unerbittlichen Feinden wurden.

Die großspurig angekündigte neue Ordnung Europas scheiterte an ihrer eigenen Ideologie, weil sie sich aufs Zertrümmern der bestehenden Systeme verstand, nicht jedoch auf das Errichten eines neuen, funktionsfähigen. Oder wie es Hitlers Übersetzer später so treffend ausdrückte: „Die Nazis sprachen ständig vom Tausendjährigen Reich, dabei konnten sie nicht mal fünf Minuten im Voraus denken."

Mark Mazover, seines Zeichens derzeit Leiter des Centers for International History der Columbia University in New York, hat das Alles gut verständlich und zugleich erfrischend lebendig und spannend dargelegt. Viele einzelne Themen mögen nicht neu sein, die Gesamt-schau mit ihren oft erstaunlichen Querverbindungen und sich ergebenden Schlussfolgerungen machen diese Arbeit gleichwohl zu einem wertvollen Standardwerk.

 

# Mark Mazower: Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus (aus dem Englischen von Martin Richter); 666 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 34

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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