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AMBER KIZER: „MERIDIAN. DUNKLE UMARMUNG"

„Meine Welt besteht und bestand nur aus mir und dem Tod. Es ist sehr einsam dort, doch ich dachte, die Dinge würden sich zum Besseren verändern. Ich heiße Meridian Sozu und ich hatte mich schwer geirrt." Mit diesem mysteriösen Prolog beginnt ein wahrhaft ungewöhnlicher Jugendroman, der auf hochspannende und zugleich tiefsinnige Weise mit den Fragen nach dem Tod und dem Sterben umgeht.

„Meridian. Dunkle Umarmung" hat die US-Autorin Amber Kizer den Roman überschrieben und sie führt sogleich in den beklemmenden Alltag der Ich-Erzählerin ein. Von klein an musste sie sich daran gewöhnen, dass jede Nacht Insekten und anderes Kleingetier in ihr Bett kommen und sie am Morgen ihre Kadaver beiseite räumen muss. Je älter sie wird, desto größere Tiere gesellen sich zu ihr und sie glaubt, dass sie den Lebewesen den Tod bringt.

Jeden Morgen Kadaver zu beseitigen, sie im Garten zu begraben, bis dort eines Tages der Platz knapp wird, das macht Angst und Meridian wird kränklich, ist übernächtigt und hat Magenprobleme. Es hilft ihr wenig, dass die Ärzte nichts finden, denn nicht nur die Eltern beobachten sie zuweilen seltsam und besorgt. Als die Tiere bald auch tagsüber zu ihr kommen und sterben, geben die Schulkameraden ihr Spitznamen wie Todesbotin, Hexe und Schlimmeres. Selbst die Erwachsenen machen sie zur Außenseiterin und lassen sie immer einsamer werden.

Und es soll noch schlimmer kommen, denn kurz vor ihrem 16. Geburtstag passiert ein Mordanschlag auf eine Schülergruppe, bei dem auch sie fast umkommt. Überhastet packen ihre Eltern ein paar Sachen ein und setzen sie ohne weitere Erklärungen in einem Überlandbus nach Colorado zu ihrer Großtante Merry. Einzig ein Brief der Mutter sagt ihr, dass sie eine Fenestra sei, halb Mensch und halb Engel: „Du gehörst zu den Auserwählten." Erschüttert muss Meridian lernen, dass sie dem nicht entgehen kann, sondern dazu bestimmt ist, den Seelen den Weg ins Jenseits zu öffnen – und mit dem 16. Geburtstag werden es nicht nur die Tiere sondern menschliche Wesen sein!

Wie sich herausstellt, ist Tante Merry ebenfalls eine Fenestra, die wie alle diese Lichtgestalten nun mit 106 Jahren selbst vorm Hinübergleiten steht, und Meridian soll ihre Nachfolgerin werden. Am 21. Dezember zur Winter-Tagundnachtgleiche – dem Geburtstag aller Fenestrae – soll das zarte Mädchen ihrer Bestimmung gemäß erstmals auch menschliche Seelen durch das imaginäre Fenster ins Licht geleiten. Die Tante tut ihr Bestes und ihr Mitbewohner Tens offenbart sich als ihr „Wächter", aber – es gibt gewältige Feinde, die Aternocti, mächtige Kräfte des Dunkels, die als Seelenfänger dem großen Zerstörer zuarbeiten.

Bevor die Drei jedoch von ihnen aufs Gefährlichst angegriffen werden, geschehen bereits böse Anfeindungen in dem kleinen Städtchen. Dort hat sich eine fanatische religiöse Sekte breitgemacht und ihr charismatischer Oberpriester Reverend Perimo erweist sich als skruppeloser Hassprediger. Die heimtückischen Anschläge nehmen zu und während Meridian mit Zittern dem Geburtstag entgegensieht, kommt es nahebei zu einer Katastrophe, die für sie zu einer ersten Bewährungsprobe wird.

Mehr sei hier nicht verraten, nur, dass dieser fesselnde Roman in ein atemberaubendes Finale führt. Es gelingt der Autorin dabei in ihrer sprachgewaltigen Prosa, nie in Sentimentalitäten oder gar Kitsch abzugleiten. Als Ich-Erzählerin schildert sie das Sträuben gegen das so Unglaubliche so spürbar, dass es unter die Haut geht. Und mag das Alles noch so magisch sein – es wirkt nie aufgesetzt oder überdreht und hat zugleich eine außergewöhnliche phiolosophische Tiefe, die sich jedoch der Hochspannung nicht in den Weg stellt.

Fazit: wer eine gut geschriebene außergewöhnliche Geschichte zu schätzen weiß, findet hier das richtige Buch. Ein Jugendbuch ab 14 Jahren, aber auch Erwachsene werden sich hier im Nu mit Begeisterung festlesen.

# Amber Kizer: Meridian. Dunkle Umarmung (aus dem Amerikanischen von Karin Duffer); 348 Seiten, Flexcover; PAN Verlag, München; € 12,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)